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Der Wunsch nach Gedanken-lesen ist hier überflüssig. Im Bundestag öden sich FDP-Chef Guido Westerwelle und Kanzlerin Angela Merkel sichtbar an.

Foto: AP Photo/Gero Breloer

In wichtigen Fragen schafft Kanzlerin Merkel keinen Konsens mit ihrem einstigen "Wunschpartner"  FDP.

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Ein Gläschen Sekt zu trinken ist nicht geplant. Das übermorgige erste Jubiläum ihrer gemeinsamen Regierungszeit verbringen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Guido Westerwelle (FDP) getrennt. Zu feiern gibt es ohnehin nichts. Einhundert Tage sind die beiden nun im Amt - und das Zwischenzeugnis der Bürger fällt schlecht aus.

Bereits drei Monate nach Amtsantritt hat Schwarz-Gelb in Umfragen keine Mehrheit mehr. Vor allem die FDPverlor rasant in der Gunst der Wähler. Nur noch neun Prozent würden laut einer Forsa-Umfrage für sie stimmen. Bei der Wahl hatte sie noch 14,6 Prozent erreicht. Die Union hält sich immerhin bei 36 Prozent.

Dabei waren CDU/CSU und FDPvor einhundert Tagen eigentlich als "Wunschpartner" angetreten. In der großen Koalition seien eben immer nur große Kompromisse möglich. FDP und Union aber würden endlich in eine Richtung marschieren, tönte es während des Wahlkampfes unablässig.

Auch bei der Präsentation des Koalitionsvertrages Ende Oktober war man noch bester Dinge. "Um 2.12 Uhr waren wir mit der Arbeit fertig, und seit 2.15 Uhr sagen wir Horst und Guido zueinander" , verkündete der sichtlich zufriedene Westerwelle nach einer letzten, langen Verhandlungsnacht neben Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer. Doch von derlei Aufbruchsstimmung ist nichts mehr zu bemerken. "Geistlos, planlos, lustlos" , sei die Koalition, konstatiert die Berliner Zeitung.

Wie aber konnte es dazu so schnell kommen? Politische Beobachter sind sich einig: Der Hund liegt im Koalitionsvertrag begraben. Den haben Union und FDP im Eiltempo ausverhandelt. Nach nur drei Wochen stand das Werk, als wollte man damit besondere Tatkraft in wirtschaftlich schwieriger Zeit beweisen.

Vieles im Vertrag ist daher ungefähr formuliert, häufiger als in anderen Koalitionsverträgen wurden offensichtlich strittige Fragen in Arbeitsgruppen ausgelagert, die erst noch entscheiden müssen.

Auch beim zentralen Vorhaben bleiben die Koalitionäre vage. Ja, man wolle zwar grundsätzlich eine Steuerreform (24 Milliarden Euro Entlastung jährlich), heißt es, aber bloß "möglichst" ab dem Jahr 2011. Und auch nur, wenn es die Staatsfinanzen zulassen.

"Wir wollen ein Deutschland, in dem sich Leistung lohnt" , betont Westerwelle seit Amtsantritt nahezu wöchentlich und weist auch darauf hin, dass das deutsche Steuersystem "geradezu enteignungsgleiche Züge" habe. Runter also mit den Steuern, lautet seine Botschaft. Die Union hingegen bremst. Kurz nach Weihnachten waren die Koalitionäre so zerstritten, dass Merkel, Westerwelle und Seehofer zu einem Krisengipfel zusammenkamen. Danach speiste man demonstrativ Steak in einem Berliner Nobelrestaurant und versprach einen Neustart.

Apropos Steuersenkung. Es ist ja nicht so, dass die Regierung noch überhaupt gar nichts zustande gebracht hat. Am 1. Jänner trat das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" in Kraft. Dieses entlastet Familien mit hohem Einkommen, Erben und Hoteliers um 4,8 Milliarden Euro im Jahr. Doch wenig später wurde bekannt, dass die FDPzuvor eine Millionenspende von einem Hotelier bekommen hatte. "Reine Klientelpolitik" , betreibe die FDP, schimpfte die Opposition. Selbst der schwarz-gelben Landesregierung in Nordrhein-Westfalen wurde angesichts des nahenden Landtagswahltermins bange, sie forderte Korrekturen bei der (zuvor von ihr mitgetragenen) Vergünstigung für Hotels. Doch Merkel will jetzt nichts mehr daran ändern. "Ich mache mir keine Illusionen. Das wird keine einfache Legislaturperiode" , sagte sie anlässlich ihrer 100-Tage-Bilanz in einem Interview mit der Welt am Sonntag.

Dort erklärte sie auch, warum es mit dem einstigen "Wunschpartner" FDP so arg rumpelt und gar nicht harmonisch läuft: Das "Staatsverständnis" sei es, was Union und FDPtrenne. Aus Sicht von CDU/CSU könne der Staat nur dann stark sein, wenn "Leistungsträger ihre Leistung nicht permanent daran messen, was sie dafür zurückbekommen" . Mit diesem Seitenhieb meint Merkel:Ich will mich um alle kümmern, die FDP hingegen schaut nur auf das Wohl ihrer eigenen Wähler.

Der Frust des Ministers

Viel Spielraum lässt im Koalitionsvertrag auch das Kapitel Gesundheit zu. Der neue, junge Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) interpretiert es so, dass er eine Kopfpauschale einführen soll. Dies würde bedeuten: Jeder in Deutschland zahlt gleich hohe Krankenkassenbeiträge. Geringverdiener bekämen einen steuerlichen Ausgleich. "Wenn es mir nicht gelingt, ein vernünftiges Gesundheitssystem auf den Weg zu bringen, will mich keiner mehr als Gesundheitsminister haben" , meinte er dieser Tage etwas resigniert. Doch in Bayern sitzt CSU-Chef Seehofer und wehrt sich vehement gegen die seiner Ansicht nach "unsoziale" Kopfpauschale.

Auch wenn die ersten Monate im Amt desillusionierend waren - jetzt dürfte ein wenig Ruhe einkehren. Nordrhein-Westfalen wählt am 9. Mai. Dort geht es für Merkel und Westerwelle um jede Stimme. Denn wird die schwarz-gelbe Landesregierung unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) abgewählt, ist die bürgerliche Mehrheit im Bundesrat dahin. Und Merkel wird es noch schwerer haben, Politik zu machen. (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, Printausgabe, 3.2.2010)