Bild nicht mehr verfügbar.

Ständig unterwegs: Liu Xia kämpft für ihren Mann.

Foto: AP/Greg Baker

Fünf Wochen, nachdem der Internetdissident und Verfasser des Freiheitsaufrufes Charta '08, Liu Xiaobo, in einem Pekinger Eilverfahren über Weihnachten verurteilt wurde, entscheidet sich, ob der 54-Jährige tatsächlich für elf Jahre in Haft verschwindet. Pekings Justiz will das als Willkür im In- und Ausland kritisierte Verdikt in Kürze in zweiter Instanz abschließend verhandeln.

Ehefrau Liu Xia erfuhr von Anwalt Shang Baoju, der sich mit Liu vergangenen Freitag in der Haftanstalt besprach, dass die Richter schon diese Woche über die Berufung entscheiden könnten. "Sie werden das Urteil unverändert bestätigen", befürchtet sie. "Ich glaube nicht, dass es anders kommt."

Immerhin scheint die weltweite einhellige Empörung ihre Wirkung auf Peking nicht zu verfehlen. Seit dem Urteilsspruch reißen internationelle Appelle an Chinas Regierung nicht ab. Pekings Führer sind zudem von ihren Staatsgästen mehrfach persönlich auf den Fall Liu angesprochen worden. Auch Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer fragte bei Staatschef Hu Jintao direkt nach.

Vergangenen Donnerstag suchten nun drei hohe Richter und ein Protokollführer Liu Xiaobo in seiner Zelle auf. Sie wollten von ihm erfahren, was er zu dem Urteil zu sagen hat. Weder Anwalt Shang noch Frau Liu Xia können sich den Grund für diesen ungewöhnlichen Schritt erklären. Liu hat seine Berufung innerhalb der ersten zehn Tage nach dem Urteil schriftlich eingereicht, sagte Liu Xia. "Sie ist 13 Seiten lang geworden. Während seiner einjährigen Haft hatte er aus Schikane nicht schreiben dürfen und bekam auch fast nichts zu lesen."

Die Polizei erlaubt Liu Xia zwar weiterhin nicht, Besucher zu Hause zu empfangen. Sie wird aber nicht mehr behindert, Besucher und Journalisten außerhalb zu treffen. "Ich bin ständig unterwegs", sagt sie. Die weltweite Anteilnahme am Fall ihres Mannes sei überwältigend. Václav Havel und die früheren Unterzeichner der Charta '77 haben mit weiteren Nobelpreisträgern eine Initiative gestartet, Liu Xiaobo für den Friedensnobelpreis nominieren zu lassen.

Aufregend und bewegend findet Liu Xia, wie viele Chinesen trotz blockierter Webseiten und polizeilicher Warnungen Mitgefühl zeigen und Protest äußern. "Keiner hat Angst. Es ist anders als früher." Schikanen bleiben dennoch nicht aus. Liu Xiaobo teile sich mit fünf Häftlingen die Zelle, habe täglich eine halbe Stunde Freigang und dürfe lesen. Aber die Geld- und Buchsendung, die ihm seine Frau am 10. Jänner schickte, hätte ihn bisher nicht erreicht. (Johnny Erling aus Peking/DER STANDARD, Printausgabe, 2.2.2010)