Für viele Anhänger im schwarz-blauen Lager schien von Anfang an klar, wer hinter den "diplomatischen Maßnahmen" der EU-Partner gegen die österreichische Regierung gesteckt haben soll: eine "linke Verschwörung" , ausgeheckt bei der Holocaust-Konferenz in Stockholm, die am 26. Jänner 2000 zu Ende gegangen war, fünf Tage vor Verlautbarung der Maßnahmen.

Eine Fehleinschätzung. Die Sache geht weiter und tiefer zurück. In der Schlusserklärung hieß es: "Angesichts von ethnischen Säuberungen, Völkermord und Rassismus muss auch in der Gegenwart die Erinnerung an die Verbrechen des Dritten Reiches wachgehalten werden." 1999 war Europa vom Kosovo-Krieg geprägt, weniger von Österreich. Die Konferenz, an der 46 Staats- und Regierungschefs teilnahmen, war nicht die "Geburtsstunde der Sanktionen" , wie es in der Presse hieß. Und der Zeitablauf deutet auch nicht auf "dummen Aktionismus" hin, wie Profil das wertet. Waren "die Sanktionen" gegen eine Regierung unter Beteiligung von FPÖ-Chef Jörg Haider eine Aktion, die die Koalitionsverhandler überraschte, an der Spitze SP-Kanzler Klima und VP-Außenminister Schüssel?

Dass die EU-Partner das nicht untätig hinnehmen würden (Haider war in der Union ja vor allem wegen seiner die Nazi-Verbrechen verharmlosenden Sprüche berühmt-berüchtigt), kündigte sich schon kurz nach den Nationalratswahlen im Oktober an.

Zunächst gab es beim EU-Gipfel von Tampere noch vorsichtige Anfragen an Schüssel und Klima zu Schwarz-Blau. Den eigentlichen Impuls zum Handeln gab aber US-Präsident Bill Clinton. Der war zum Gipfeltreffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) am 18. November in Istanbul angereist. Für Österreich ein wichtiger Termin, es sollte am 1. Jänner 2000 den OSZE-Vorsitz übernehmen. Mit Clinton, Frankreichs Präsident Jacques Chirac und anderen Regierungschefs saß daher auch Bundespräsident Thomas Klestil am Tisch. Clinton, so schilderte ein Teilnehmer dem Standard, habe fast eine halbe Stunde lang immer wieder eine Frage aufgeworfen: Wie kann es sein, dass mehr als fünfzig Jahre, nachdem man die Nazis besiegt habe, quer durch Europa rechtsextreme Parteien wie die Pilze aus dem Boden schießen, Wahltriumphe feiern? So auch in Belgien, in Frankreich, in den Niederlanden.

Chirac war stets hart gegen den Front National von Jean-Marie Le Pen vorgegangen, hatte seinen Konservativen jede Kooperation untersagt. Die EU, waren sich alle einig, sei die Antithese gegen jeden Anflug von Rassismus.

Drei Wochen später nahm es Chirac beim EU-Gipfel in Helsinki persönlich in die Hand, mit Schüssel ein "ernstes Wort" zu sprechen, wie er seinen Kollegen versicherte. Das soll sehr heftig verlaufen sein, sagte ein Diplomat.

Die Österreicher waren also gewarnt. Die Eskalation startete Jörg Haider bei seiner 50er-Feier auf der Gerlitzen am 29. Jänner, zwei Tage nach dem Gedenktag zur Befreiung des KZs Auschwitz, drei Tage nach der Holocaust-Konferenz. Angesprochen auf die Ablehnung von Schwarz-Blau, verhöhnte er Chirac als "Westentaschen-Napoleon" . Dieser griff nur Stunden später zum Telefon und rief den deutschen Kanzler Schröder an. Der Rest ist Geschichte. (Thomas Mayer/DER STANDARD-Printausgabe, 2.Feber 2010)