Autor Franzobel, das durchschaute Zeichen: Ein Starautor unterläuft die Frage nach der Beschreibung der Welt. Die Wiener Gruppe seufzt langsam.

Foto: Corn

Ein Hans-Moser-Stück folgt ...

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Standard: Ihrer Schreibarbeit hat sich ein Wandel bemächtigt: Sie haben sich vom Sprachartisten zum politisch eingreifenden Autor weiterentwickelt, der über die nazistischen Verbrechen im Hausruck genauso schreibt wie über den Asylfall Arigona Zogaj. Wie bewusst war dieser Wandel?

Franzobel: Ich war als Schüler sehr politisch, voller Weltverbesserungsideale. Mit Studiumsbeginn habe ich dann alle diesbezüglichen Bemühungen als aussichtlos empfunden. Deswegen habe ich mich mit 20 davon distanziert - und fortan in einer sehr unpolitischen Welt gelebt. Es gab vielleicht auch nicht die äußeren Anreize, sich damit zu beschäftigen ...

Standard: Sie meinen, Sie hätten mit Blick auf die österreichische Lebenswelt früh resigniert gehabt?

Franzobel: Auch. Ich empfand eine gewisse Machtlosigkeit, konzentrierte mich auf das Selbst, im Schreiben auf die Form. Vielleicht hat mich jetzt eine Altersnaivität eingeholt oder, im Gegenteil, eine spätpubertäre Phase. Jedenfalls ist es mir immer öfter unerträglich, die herrschenden Verhältnisse kommentarlos zu akzeptieren.

Standard: Wie würden Sie als Autor politische Naivität definieren?

Franzobel: Als den Glauben, dass man etwas ausrichten kann.

Standard: Sie meinen das Moment des Eingreifens?

Franzobel: Den Glauben an "Wertigkeit" . Damit habe ich Probleme. Aber auch wenn es nichts bringt, muss man es probieren.

Standard: Sie haben stets als sprachkritischer Autor gearbeitet, mit solchen Ahnherren wie den Dichtern der Wiener Gruppe. Die haben sehr nachhaltig an der Umkehrung aller Werte gearbeitet. Auch eingefahrene Sprachmuster wirken ideologisch. Welche Werte verfestigen sich in einer solchen Praxis der Verunsicherung?

Franzobel: Jeder moralische Wert kann nur im Augenblick wahr oder wahrhaftig sein. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt einen Wert fände, der für eine längere Zeit absolute Geltung besitzt. Ich fühle mich dem Skeptizismus und der Ironie verpflichtet, bin ein Verfechter des Inhomogenen und des Wandels. Meine Schreibpraxis besteht darin, Sprache immer wieder durchzukauen, bis sie einen neuen Sinn ergibt. Ich presse ihr also etwas ab. Das hat nach wie vor Potenzial, Leute zu verunsichern.

Standard: In Ihrem Arigona-Zogaj-Buch bearbeiten Sie nicht mehr nur die heimische Sprache - Sie zitieren das politische Kauderwelsch, montieren es ganz im Sinne von Karl Kraus.

Franzobel: Ich habe mich darin auch mit der Flut an Postings zur Causa Arigona auseinandergesetzt und die im wahrsten Sinne zur Real-Groteske verwurstet. Postings sind der Pranger unserer Zeit! Viele sind zum Fürchten. Das Buch steht aber etwas außerhalb meiner Schreibtradition: Es ist mir sozusagen "passiert" , weil ich mit dem "Baron" , dem anonym gebliebenen Hausrucker Gönner der Familie Zogaj, der für ihre Unterbringung gesorgt hat, befreundet bin. Österreich ist schön ist der Versuch, der Gesellschaft einen Spiegel anhand einer Asylbewerberin vorzuhalten. Und weil das teilweise grauslich, teilweise Realsatire war, blieben mir als Gegengift nur Polemik und Humor.

Standard: Sie plädieren in Ihren Texten nicht für Werte, sondern für einen Humanismus der Abweichung. Sie sagen im Fall Zogaj: Die Verfahrenstechnik irrt. Nicht die Abschiebung von Arigona Zogaj ist böse, sondern eine Fantasie, die sich keine Ausnahme von der Asylgesetzgebungsregel mehr vorstellen kann. Welche politische Maxime ließe sich daraus ableiten?

Franzobel: Vielleicht plädiere ich für Haltungen. Ich schreibe gegen die Gesetzesgläubigkeit an: Vor 20 Jahren war es noch Gesetz, nach sieben Jahren Aufenthalt automatisch die Staatsbürgerschaft zu bekommen. Heute? Gesetze ändern sich, sie sind keine Wahrheit. Heute reiten alle, die gegen die Familie Zogaj sind, auf dem Gesetzestext herum. Es gibt in der Causa aber auch positive Signale, etwa vom Bundespräsidenten

Standard: So wünschenswert das scheinen mag: Es bleibt politisch unbefriedigend.

Franzobel: Ganz klar. Es muss um eine prinzipiell andere Haltung gegenüber Asylbewerbern gehen. Wir haben fast eine neue Apartheid, ein neues fesches Monopol der Geisteshaltung: Fremdenfeindlichkeit. Das kann man so nicht hinnehmen. Zum Glück gibt es auch ein paar bewundernswerte Menschen wie Ute Bock, die etwa zeigen, dass es auch ein anderes Österreich gibt.

Standard: Sie haben ein Hans-Moser-Stück für das Wiener Josefstadt-Theater geschrieben (Uraufführung: 25. Februar), dessen bloße Ankündigung bereits Protest nach sich gezogen hat. Was führen Sie mit der Person eines Publikumslieblings im Schilde, dessen Biografie während des Nazi-Terrors eigentümlich gebrochen erscheint?

Franzobel: Wie kommt man zu so einem Thema? Josefstadt-Direktor Föttinger fragte mich nach einem Stück, und ich hatte gerade eine Moser-Kurzbiografie gelesen. Moser war für mich ein konstanter Sonntagnachmittag-Wohnzimmergott, ein genialer Sprachzerbeißer. Ich fand sein Leben spannend, seine jüdische Frau, die Streitigkeiten um sein Erbe, seine späte Karriere, all die Brüche in seinem Leben erschienen mir sehr interessant und beispielhaft. Ich habe versucht, ihn als zeitlosen Archetypus des Österreichers zu begreifen, als mutigen Feigling mit einem leichten Hang zur Biederkeit, der sich trotzdem etwas Privatanarchismus bewahrt hat.

Standard: Wie stellt man ein solches Prachtstück der Volkskultur glaubwürdig auf die Bühne?

Franzobel: Über Mosers Verhalten im Dritten Reich kann man eben gerade nicht eindeutig befinden. Bei mir wird die Figur in einen "jungen" und in einen "alten" Moser aufgespaltet, gespielt jeweils von Erwin Steinhauer und Florian Teichtmeister. Schauplatz ist der Himmel, nur ist der liebe Gott scheinbar Adolf Hitler, und Moser muss sich rechtfertigen, warum er nicht mehr für das Dritte Reich getan hat. Es geht im Stück um die Kompromisse eines Lebens, aber sicher nicht um Verurteilung.

(Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 02.02.2010)