Port-au-Prince/Wien - "Das ist falsch verstandene Nächstenliebe. Man kann nicht einfach hinfahren und Kinder in einem Bus einsammeln." Der Tiroler Georg Willeit von SOS-Kinderdorf hat am Wochenende gemeinsam mit Mitarbeitern und Rettungskräften 33 Kinder in seiner Einrichtung nahe der Hauptstadt Port-au-Prince empfangen, die in einem Bus an der Grenze zur Dominikanischen Republik aufgegriffen worden waren. Mitglieder einer Kirchengemeinde aus dem US-Bundesstaat Idaho wollten die Buben und Mädchen im Alter von zweieinhalb Monaten bis zu zwölf Jahren offensichtlich illegal über die Grenze bringen. Die Leute beteuerten, es nur gut gemeint zu haben - sie wurden festgenommen.

"Die Kinder sind hungrig, durstig, verängstigt, schlecht ausgestattet, verwirrt und traurig zu uns gekommen", berichtete Willeit. "Das Baby war nackt und dehydriert. Es musste schleunigst in die nächste Klinik gebracht werden. Hätten wir nichts getan, wäre nicht sicher gewesen, ob es die Nacht überlebt hätte. Nun geben wir den Kindern einen sicheren, ruhigen Raum, geben ihnen zu essen und zu trinken und betreuen sie psychologisch."

 

"Einige der Kinder haben noch Eltern", erklärte Willeit. Einzelne Angehörige hätten bereits Kontakt mit dem SOS-Kinderdorf aufgenommen, ihre Angaben werden nun gemeinsam mit lokalen Behörden überprüft. Ein achtjähriges Mädchen habe gesagt: "Aber ich bin keine Waise." Es habe gedacht, seine Mutter hätte einen Kurzurlaub arrangiert.

Warnung vor übereilten Adoptionen

So wie UNICEF und andere Kinderschutzorganisationen warnte auch SOS-Kinderdorf vor übereilten internationalen Adoptionen: "Es ist derzeit absolut unabklärbar, ob Familien von Kindern noch leben oder ob Verwandte die Pflege übernehmen wollen", sagte Willeit. Deshalb sei es wichtig, die Kleinen im eigenen Land zu behalten. Bei zu schnellen Adoptionen bestünde die Gefahr, dass die Sprösslinge in die Hände von Kinderhändlern fallen, Opfer von Übergriffen und ähnlichem würden.

In Haiti werden Kinder mittlerweile registriert; dabei greift man laut dem SOS-Kinderdorf-Mitarbeiter auf die Erfahrungen von UNICEF zurück: Man versuche, über jedes aufgefundene Kind möglichst viele Daten zu erfahren. Dann starte die Suche nach möglichen Verwandten: "Es ist ein Puzzlespiel." Aber eines mit großen Erfolgschancen, das habe man schon bei der Tsunami-Katastrophe 2004 erlebt.

"Mit jedem Kind, das nun außer Landes gebracht wird, besteht die Gefahr, dass man eine Familie zerstört. Das kann auch nicht im Sinne des Adoptierers sein. Wer adoptieren will, der kann das auch nach einem Jahr noch tun", meinte Willeit. Gerüchteweise geben manche Eltern absichtlich ihre Sprösslinge her: "Das ist nach solchen Desastern oft so, wenn verzweifelte Familien nicht wissen, wie sie überleben sollen." Wenn dann jemand erklärt, man könne dem Nachwuchs über Adoption ein besseres Leben bescheren, klinge das für viele nach dem "Paradies". "Das ist ein Spiel mit den Hoffnungen und Ängsten der Eltern", so der SOS-Kinderdorf-Mitarbeiter. Dass die Kleinen so auch in die Hände von Kriminellen fallen könnten, dürfte vielen wohl gar nicht bewusst sein.

Internationales Bewusstsein schaffen

Die haitianische Regierung hat vorschnelle internationale Adoptionen mittlerweile gestoppt. Wichtig sei nun, ein "internationales Bewusstsein" zu schaffen und auch entsprechend medial vorzugehen, um Kinder zu schützen, so Willeit.

Das SOS-Kinderdorf, in dem sich die 33 aufgegriffenen Buben und Mädchen befinden, liegt in der Nähe der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince: Es ist vom Beben weitgehend unversehrt geblieben. "Nach dem Erdbeben haben wir bisher insgesamt 80 Kinder aufgenommen. Wir bereiten uns darauf vor, bis zu 300 aufzunehmen", erklärte Willeit. Sicherheitshalber tragen alle SOS-Mitarbeiter Identifizierungskarten, auch alle kleinen Bewohner haben Identifizierungsbänder an den Handgelenken. Beim Eingang des Kinderdorfs wird streng kontrolliert, hieß es. Die SOS-Kinderdorf-Mitarbeiter versorgen auch außerhalb der Einrichtung Kinder mit Essen und Getränken - täglich durchschnittlich 3.000. (APA)