Angewandte Demokratie, umgedeutet zum Widerstand? Donnerstagsdemo aus dem Jahr 2000.

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"Österreich hat nichts Böses gemacht, und wenn, dann war's ganz unabsichtlich. Österreich sitzt trotzig in einer Ecke manchmal, weil es nicht liebgehabt wird. Es hat dann aber schon gerne große Vaterfiguren oder wenigstens einen starken Mann. Österreich ist ein Kind, ein bissl."

Mag sein, dass die Diagnose Josef Haders, ehemaliger Schirmherr der "Botschaft der besorgten Bürger" auf dem Heldenplatz, selbst etwas Onkelhaftes hat. Aber sie beschreibt gut das in diesem Land historisch geprägte Verhältnis der Menschen zum Staat als Obrigkeit. Kein Wunder also, wenn die Ausübung demokratischer Rechte hier schnell zum "Widerstand" wird.

Tatsächlich tauchen in Frederick Bakers Dokumentation "Widerstand in Haiderland" zufällig immer wieder Bilder von Kindern auf, deren politische Zukunft soeben vom Tun und Denken der erwachsenen Protagonisten vorbereitet wird. So setzt ein Paar, das vor zehn Jahren aktiv gegen die Regierungsbildung von ÖVP und FPÖ protestierte, nun beim Erinnerungsinterview demonstrativ den Nachwuchs in die Mitte.

Natürlich ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis Jörg Haiders Befund über Österreich als ideologische Missgeburt auftaucht. Die Schreibmaschinen-Typografie, in der das Zitat wie als Fernmeldung über die Leinwand rattert, unterstreicht dabei das Verhältnis des Films zu seinem Material: Bilder und Töne sind für Baker Dokumente und Beweisstücke, die entsprechend verwendet werden müssen. Nicht nur aus politischer oder moralischer Überzeugung, sondern auch aus dramaturgischer.

Schauwert

Genau hier beginnt jedoch die Problematik dieses Films. Denn das Videomaterial der Demonstrationen und der Kundgebungen auf dem Heldenplatz, mit denen "die Ehre Österreichs im Ausland gerettet wurde", wie Süddeutsche-Korrespondent Michael Frank befindet, nützt Widerstand in Haiderland in erster Linie als Schauwert.

Dass eine Dokumentation einem unbedingten, wie auch immer zu definierenden, Objektivitätsanspruch genügen muss, wird niemand behaupten. Der eigentliche Hauptakteur Wolfgang Schüssel fehlt also nicht; und die Bonmots, die Andreas Khol als Ex-ÖVP-Klubobmann über Haider ("jede Woche war irgend was") zum Besten geben darf, stören. Eine Parallelmontage von einschlägigen Ansprachen Haiders mit der Heldenplatz-Rede Hitlers stellt aber eine fahrlässige Vereinfachung und ungeheuerliche Reduzierung dar.

Widerstand in Haiderland interessiert sich weniger für die politische - und in der Folge auch wirtschaftliche und kulturelle - Zäsur, als für deren Illustrierung: Neben Schlingensiefs Container-Aktion (Ausländer Raus!) steht Hubsi Kramars Hitler-Auftritt beim Opernball. Und während die Kulturkarawane durch Kärnten tingelt und Streeruwitz anmerkt, dass die Stimmung - aus heutiger Sicht eine wichtige Einschätzung - auch "einfach schön" war, stellt sich im Film beinahe so etwas wie eine Nostalgie des Dabeigewesenseins ein. 

Running Gag

Dabei müsste es in einer dokumentarischen Bestandsaufnahme darum gehen, warum die Vergangenheit, wie Doron Rabinovici analysiert, noch immer nicht abgeschlossen ist. Denn für die Gegenwart ist der vielzitierte "Umbruch" im Jahr 2000 nicht wichtiger als die zwei Jahre später ausgetragenen Neuwahlen.

Als eine Art Running Gag fungiert in Widerstand in Haiderland übrigens ein Navigationsgerät, das uns am Schluss zur Unfallstelle Jörg Haiders führt. Mit diesem Bild will Baker dann aber doch nicht enden, weshalb sich zuallerletzt ein Kinderwagen durchs Bild schiebt.  (Michael Pekler, DER STANDARD; Printausgabe, 30./31.1.2010)