Wien - Iwan Turgenjews Nachsommer-"Komödie" Ein Monat auf dem Lande (1872) hält eine respektable Mittelposition; einerseits zwischen Goldonis Trilogie der Sommerfrische, andererseits zwischen Anton Tschechows weit untröstlicheren Seelenerkundungen. Immerhin fahren auch bei Turgenjew ein paar Sommergäste nach erlittener Liebesschmach heim nach Moskau. Doch diese Metropole läge im Wiener Josefstadt-Theater, wo Miriam Busch (Bühnenbild) einen blassblauen Rundhorizont hinter einem leeren Swimmingpool aufgespannt hat, wohl jenseits aller theatralischen Denkmöglichkeiten.

Das Stück selbst müht sich redlich ab an den Gefühlswallungen einer verheirateten Gutsherrin (Maria Köstlinger). Diese, obzwar jüngeren Alters, vergafft sich förmlich in die Möglichkeit einer "Mesalliance" mit dem Hauslehrer (Rasmus Borkowski) ihres Wohlstandsbuben.

Köstlinger rast förmlich: Sie, die von ihrem redlich-sportiven Gemahl (Peter Scholz) übel vernachlässigt wird, terrorisiert ihren Hofstaat - darunter den platonischen Hausfreund Rakitin (entgeistert: André Pohl) - mit wippenden Auftritten und galligen Haarspaltereien.

Sie ist die Triebfeder des Stückes: freilich eine solche, die vor lauter Unrast restlos überspannt wirkt. Der leidlich liberale Betrachter dieser ehehygienischen Moritat wünscht sich im Jahre 2010 daher aufrichtig, dass Frau Natalja Petrowna (Köstlinger) sich doch bitte ein Herz fassen möge und den armen, vor Rechtschaffenheit triefenden Hauslehrer in ein Gartenhaus verschleppe: so, dass beider Begierden auskömmlich gestillt werden können.

Natürlich verhält es sich in diesem Artefakt, das in den 1840er-Jahren spielt, nun einmal anders. Ziehtöchter (Hilde Dalik), obleich mit dem burschikosen Charme von Provinz-Girlies ausgestattet, verzehren sich tränennah nach dem erstbesten Bräutigam. Überhaupt strotzt Stephanie Mohrs Inszenierung vor lauter milden, nachsichtigen Details, die sie aus längst verloschenen Lebenswelten umsichtig herüberpflanzt in ein so nicht mehr glaubwürdiges Hier und Heute.

Halten wir uns lieber an die Schönheiten, die vor der Betonwand des Bassins, beschirmt von Hecken, Klappsesseln und Samowaren, üppig blühen: Sona MacDonald, die doch bloß die Gesellschaftsdame Lisaweta Bogdanowa spielt, legt in einen einzigen, unendlich traurigen Zigarettenzug mehr Einsicht über das Scheitern legitimer Lebensentwürfe, als es die sie umgebende Personnage vermag. Ihr betriebszynischer Brautwerber, der Arzt Spigelskij (Toni Slama), entwickelt trotz markanten Krückstockeinsatzes die schwefelige Atmosphäre eines Provinz-Mephistos.

Es sind ausgerechnet die Chargen (Christian Futterknecht als greiser Bräutigam), die in dieser doch sehr beflissenen Produktion mit verquerer Komik punkten: Plötzlich erscheint Turgenjew ganz untröstlich gegenwartsnah. Der Rest war höflicher Applaus. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 29./30.01.2010)