"Ich habe das auch bedauert, ich hätte das gerne gesehen, wenn Jörg Haider uns in der Regierung angeführt hätte", sagt Scheibner.

Foto: Standard/Cremer

Khol: "Ich bin stolz auf diese Zeit. Wir haben wirklich reformiert."

Foto: Standard/Cremer

Bild nicht mehr verfügbar.

Die erste Verhandlungsrunde zur kleinen Koalition. Von links: Andreas Khol, hinter ihm versteckt Susanne Riess-Passer, Herbert Scheibner, Jörg Haider, hinter ihm versteckt Thomas Prinzhorn, Wolfgang Schüssel und ganz rechts im Bild Peter Westenthaler.

Foto: APA

Standard: Herr Scheibner, in welcher Verfassung war die FPÖ vor zehn Jahren? Wäre sie um jeden Preis in eine Koalition mit der ÖVP gegangen?

Scheibner: Nein. Aber Jörg Haider hat schon Jahre zuvor gesagt, dass man sich nicht in der Opposition totsiegen soll und darf. Eine politische Kraft muss auch bereit sein zu regieren, aber natürlich nicht um jeden Preis. 1999 war für uns ein wirkliches Wendejahr. Es war der Wunsch von Jörg Haider, dass wir das Verhältnis zu den anderen Parteien verbessern. Im Sommer 1999 hat Haider zwei Wahlziele ausgeben: Zweitstärkste zu werden und einen Regierungseintritt als möglich zu erachten.

Standard: Hatte sich die ÖVP auf diese Koalition vorbereitet?

Khol: Vorbereitet waren wir nicht, aber Jörg Haider hat in den Jahren 1998 und 99 systematisch die Vorbereitungen getroffen, um in den Verfassungsbogen zurück zu kommen. Er hat die Deutschtümelei beendet, er hat die dritte Republik abgesagt. Am 2. November 1999 hatten wir das erste große Sondierungsgespräch, Zukunftsgespräch haben wir das genannt, mit der FPÖ. Da ist das erste Mal die Möglichkeit einer Koalition aufgeblitzt. Haider hat erklärt, er akzeptiert den Vertrag von Maastricht, den Euro, die EU-Erweiterung. Da steht es.

Standard: Sind das Ihre damaligen Mitschriften?

Khol: Ja, da steht das drinnen. Wir waren total erstaunt. Ich habe die kleine Koalition immer wollen, schon im 97er Jahr, als es mit den Roten nicht mehr gegangen ist, aber wir konnten nicht. Am 2. November erschien das das erste Mal möglich. Als die Verhandlungen mit den Sozialdemokraten gescheitert sind, das war am 21. Jänner um vier Uhr in der Früh, da hat mich drei Stunden später Schüssel angerufen und hat gesagt, "Andreas, jetzt musst du den Klubobmann Scheibner anrufen: "Sind Sie bereit zum Verhandeln?" Er war bereit. Am 24. hat Schüssel noch einmal Klima die Koalition angeboten mit "Nürnberger muss unterschreiben" und "neutraler Finanzminister" - das hat Klima abgelehnt, er konnte nicht. Dann haben wir mit der FPÖ verhandelt. Das war eine wilde Woche.

Scheibner: Man hatte damals schon gesehen, dass die Ausgrenzung der Freiheitlichen erfolglos ist, wir waren ja zweitstärkste Fraktion und nach den Wahlen, als diese Regierungsverhandlungen begonnen haben, hat es Meinungsumfragen gegeben, wo wir stärkste Fraktion gewesen sind...

Khol: 33 Prozent!

Scheibner:Die große Koalition war am Ende. Wenn es da eine Neuauflage gegeben hätte und nach ein paar Monaten vielleicht Neuwahlen, dann wäre offen gewesen, wer Nummer eins wird.
Standard: Wie haben Sie damals das Risiko eingeschätzt? Wenn der Dritte mit dem Zweiten gegen den Ersten eine Koalition macht, ist die Gefahr, dass dieses Experiment schief geht, durchaus hoch.
Khol: Wir haben alle gewusst, dass das eine Kulturrevolution darstellt, dass die Sozialdemokraten unterstützt vom Bundespräsidenten und von weiten Teilen der veröffentlichten Meinung dagegen Sturm laufen werden. Aber wir haben an die Kraft der Demokratie geglaubt und gesagt, wir haben die Mehrheit und daher wird das gehen.

Standard: Die erste Folge waren die Sanktionen. War diese Reaktion in Europa für Sie absehbar?

Scheibner: Wir haben es befürchtet, sag ich einmal. Aber naja, in Wahrheit hat‘s dieser Regierung geholfen. Die Leute haben das als ungerecht angesehen und haben deshalb diese neue Regierung unterstützt. Aber letztlich ist es schon ärgerlich gewesen. Ob mir jetzt ein Botschafter oder ein Minister die Hand gibt, ist egal. Problematisch war, dass diese Länder, und das sind EU-Partner gewesen, das bis in die Ebenen des Persönlichen auch in der Bevölkerung hineingetragen haben. Da sind Schüleraustausch-Programme gestrichen worden...

Khol: Skiwochen wurden gestrichen!

Scheibner: Bei uns im Verteidigungsressort sind Ausbildungskooperationen gestrichen worden, das ging bis ganz hinunter, wo Leute nicht mehr miteinander reden durften. Das war natürlich schon sehr bedrückend.

Standard: Gusenbauer erzählt, dass Schüssel sehr wohl vorgewarnt war.

Khol: Nein. Also das kann ich sehr authentisch sagen, ich hab eh gerade meine Notiz gesucht. Am 26.1. haben wir den ersten Hinweis bekommen. Da hat mich um acht Uhr in der Früh der französische Botschafter angerufen und gefragt, ob Jacques Chirac mit mir um halb zehn telefonieren kann. Ich hab das Telefonat mitgeschnitten. Chirac hat das so eingeleitet: Sein Ministerpräsident Jospin hat ihm von der Shoah-Konferenz in Stockholm berichtet, dort war die österreichische Regierungsbildung ein Thema, und dass die Sozialdemokraten um Hilfe gebeten haben. Jacques Chirac hat dann wirklich versucht zu bestimmen, dass wir eine sozialistische Minderheitsregierung mittragen und ein Budget beschließen müssen, er hat faktisch regierungsverhandelt.

So konkret war das, ja. Ich habe ihm gesagt, das geht nicht aus verscheidenen Gründen, und die Freiheitlichen sind in der Meinungsforschung schon bei 33 Prozent. Wenn wir jetzt eine Koalition dieser Katastrophal-Verlierer SPÖ und ÖVP machen, dann ist der nächste Kanzler Haider. Und da hat er gesagt, "on va vous isoler", man wird euch isolieren, und "l'Autriche le payera cher", Österreich wird dafür teuer bezahlen. Ich hab‘ das natürlich sofort Wolfgang Schüssel berichtet und da hat es uns gedämmert, dass da irgendwas im Gange ist. Um das abzuwehren, hat Schüssel mit Haider die Präambel mit einem Bekenntnis zu den europäischen Werten vereinbart. Das haben wir dann Thomas Klestil vorgeschlagen. Klestil hat das dann aber so dargestellt, als ob er das von der Regierung verlangt hätte. Die Maßnahmen hätten zuerst gar nicht veröffentlicht werden sollen, sind dann aber bekannt geworden, weil der Druck aus Österreich so groß war. Das war eine fatale Fehleinschätzung, da hat man geglaubt, die ÖVP wird noch in die Knie gehen. 

Standard: Wer hat denn Ihrer Meinung nach dieser Druck ausgeübt?

Khol: Die Sozialdemokraten und die Hofburg, glaube ich.

Standard: Wer konkret? Viktor Klima selbst?

Khol: Nein.

Scheibner: Das war Gusenbauer.

Standard: Aber Gusenbauer war damals gar nicht in der Position.

Khol:Nein, aber er war der Verbindungsmann der Sozialistischen Internationale. 

Standard: Aber letztendlich hat die Regierung von den Sanktionen profitiert.

Khol: Ja sicher. Es ging nicht mehr links gegen rechts, sondern Patrioten gegen vaterlandslose Gesellen.

Scheibner: Das war die falsche Lage-Beurteilung, man hat geglaubt, Österreich will überall beliebt und anerkannt sein....

Khol: ...und geht in die Knie.

Scheibner: ...und sagt "na um Gottes Willen, wir wollen mit dieser Regierung nix zu tun haben". Das Gegenteil war der Fall. Es hat uns natürlich auch geholfen, dass die große Koalition als damals einzige Alternative absolut am Boden war, die Menschen wollten ganz einfach etwas Neues.

Khol: Und der große Seismograph Kronen Zeitung hat ausgeschlagen. Bis zu den Sanktionen hat die Krone ja aus allen Rohren gegen die kleine Koalition geschossen. Ab den Sanktionen hat sie die Regierung unterstützt, eine gewisse Zeit lang.

Standard: Thomas Klestil hat sich ja mit allen Mitteln gegen diese Regierung gesträubt.

Khol: Wir haben am 13. 1. einen Uralt-Freund, einen österreichweit anerkannten Ehrenmann, zu Bundespräsident Klestil geschickt, um seine Absichten zu erfragen. Da hat Klestil sich vehement gegen Schüssel als Kanzler in einer kleinen Koalition ausgesprochen und hat die Möglichkeit einer Regierung Schlögl - Scheibner ventiliert. Ich habe das hier aufgeschrieben. Da steht‘s. Wenn Parlament nicht die große Koalition macht, gibt‘s Neuwahlen. Er hat da erwogen das Parlament aufzulösen. Er will allenfalls eine Regierung Schlögl - Scheibner.

Standard: Gab es konkrete Verhandlungen?

Scheibner: Es gab ja die Zukunftsgespräche mit allen Parteien, auch mit der SPÖ, wobei wir dort schon den Eindruck hatten, die SPÖ nimmt das nicht wirklich ernst. Die SPÖ hat ausgelotet hat, ob wir bereit wären, eine Minderheitsregierung zu unterstützen. Nach einer gewissen Zeit könnte es Neuwahlen geben und nach einer erfolgten Imagekorrektur der FPÖ könnte man dann auch ganz offen in eine Koalition gehen. Das haben wir abgelehnt. Wir sind doch keine Schulbuben, die man da aus der Ecke holen muss, sondern wir waren damals zweitstärkste Partei.

Khol: Ich habe mir aufgeschrieben, 21. 1. Kontakt Scheibner und am 22. Angebot Kostelka - Scheibner Minderheitsregierung. Hat das gestimmt?

Scheibner: Es gab natürlich Gespräche, aber mit mehreren Persönlichkeiten der SPÖ, wo diese Möglichkeiten ausgelotet worden sind.

Standard: Aber es ging um die Unterstützung einer Minderheitsregierung, nie um eine Koalition?

Scheibner: Das stimmt. Die SPÖ hat gemeint "Jetzt können wir nicht, da würden wir das Gesicht verlieren, aber wir bieten euch an ein Jahr..."

Khol: Verlobung, spätere Heirat möglich.

Standard: Was war der Grund, dass Jörg Haider nicht in der Regierung war? War das eine Bedingung der ÖVP? Oder waren die drohenden Sanktionen der Grund dafür?

Scheibner: Wir hätten uns das nicht vorschreiben lassen, klarerweise. Ich habe das auch bedauert, ich hätte das gerne gesehen, wenn Jörg Haider uns in der Regierung angeführt hätte. Aber er hat selbst gesagt, er ist den Kärntnern im Wort. Natürlich wusste er , dass das die internationale Diskussion noch verschärft hätte, das hat er schon gesehen. Ich weiß, dass ihm dieser Verzicht schwergefallen ist. Er hat all die Jahre auf dieses Ziel hingearbeitet.

Standard: Hat die ÖVP Druck ausgeübt in diese Richtung?

Khol: Nein. Das war ja nicht notwendig, denn Haider hat ja auch die Fähigkeit gehabt mit dem Kopf des anderen zu denken. Für uns wäre es sicherlich nicht möglich gewesen, einen Abschluss durch den Parteivorstand zu bringen, bei dem die ÖVP nicht den Bundeskanzler stellt.

Standard: Haider hätte auch Vizekanzler sein können.

Khol: Das wurde eigentlich nie besprochen. Aber ehrlich gesagt, wir waren froh, dass Haider nicht in der Regierung war. Es war klar, dass er sich nie in eine Kabinettsdisziplin einordnen wird. Er hat ja jede Woche eine Idee über den Semmering nach Wien geschickt, immer wieder und zwar immer wieder schwierigste Dinge.

Scheibner: Aber nicht immer die schlechtesten.

Khol: Schwierig, sehr schwierig, sehr fantasievoll.

Standard: Schüssel wird ja zugeschrieben die FPÖ kleingehalten beziehungsweise zerstört zu haben. Wie weit gab es da ein strategisches Kalkül?

Khol: Das stand nie zur Debatte. Das sind immer solche Strategeme, die von außen hineingelegt werden, Hans Rauscher ist da ein Meister solche Dinge zu erfinden. Schüssel war ein Teamspieler. Und es war ihm ein Anliegen, das hat er uns hundert Mal eingeschärft, der FPÖ auf gleicher Ebene zu begegnen. Das war ein echtes Team. Und der Wolfgang Schüssel hat ganz genau gewusst, das Experiment ist, wie Jörg Haider gesagt hat, auf zwei Gesetzgebungsperioden angelegt. Das kann nur fortgesetzt werden, wenn die FPÖ eine 20 Prozent Partei bleibt.

Scheibner: Ich bin stolz auf diese Zeit.

Khol: Ich bin auch stolz. Wir haben wirklich reformiert. (Michael Völker, Der Standard, Printausgabe, 30.01.2010)