Götz Werner startete in den 1970ern mit einer Discount-Drogerie mit straffem Sortiment, niedrigen Preise und hohem Warenumschlag. Dies war möglich, weil Mitte der 70er-Jahre die Preisbindung für Drogerieartikel aufgehoben worden war. Sein dm-Geschäft war anno dazumal der erste Drogeriemarkt, der in Süddeutschland eröffnet wurde.

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Wien - "Ich möchte nicht Anton Schlecker sein, Sie?" Für diese Antwort muss Götz Werner nicht lange überlegen. Alle Zutaten, die der dm-Gründer einem Entrepreneur in spe ans Herz legen würde, sind unmittelbar mit einem Gemütszustand verknüpft. "Begeisterte Mitarbeiter, ebensolche Kunden und Banken sind die Voraussetzungen für Unternehmenserfolg", so der quirlige Keynote-Speaker am Donnerstagabend vor zahlreich erschienenem Publikum im Wiener Henkel-Hauptquartier.

Bei der unter der Bezeichnung "Henkel Talk" firmierenden Diskussionsrunde zum Thema "Ethik im Management: Wieviel Moral (ver)trägt die Welt" will nicht nur Götz Werner nicht Anton Schlecker sein. Auch im Publikum findet sich niemand, der seine Hand hebt, zumindest nicht offiziell. Den Einwand, Anton Schlecker komme aber ganz ohne die genannten Zutaten aus, quittiert Werner mit einem Lob und adelt den deutschen Drogeriekönig, Europamarktführer, Kontrollfreak und großen Knauserer aus dem Schwabenland großzügig mit dem Prädikat "ein großer Unternehmenserfolg." Anton Schlecker ist an diesem Abend der Antipode - physisch nicht anwesend und trotzdem recht präsent. Äußerst lebendig auf der Bühne hingegen der 66-jährige Götz Werner, mittlerweile schon fast eine Institution in Sachen Moral, nicht nur als unbedingter Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Irgendwie exotische Werte

In einer Branche, in der mit harten Bandagen um jeden Kunden gekeilt wird, führt er sein Unternehmen nach Werten, die in der Wirtschaftswelt geradezu exotisch klingen. Das Wort des Freiherrn vom Stein: "Zutrauen veredelt den Menschen" ist ihm oberstes Gebot. An diesem Abend fallen merkwürdige Sätze im Zusammenhang mit Unternehmensführung. Der Sinn alles Wirtschaftens? "Der Mensch."  Die Aufgabe eines Unternehmens? "Sinn zu stiften." Der Zweck eines Unternehmens?  "Eine Plattform zu bieten, wo Mitarbeiter ihre Biografie gestalten und an einem Strang ziehen."  Die Aufgabe eines Vorgesetzten? "Seinen Mitarbeitern ein Umfeld für ein erfülltes Berufsleben bieten." Würde es sich nicht um ein beeindruckendes Imperium handeln, dem der Mann bis vor kurzem vorstand, man hielte ihn für einen Guru. Wäre Werner nicht Herr über 30.000 Mitarbeiter gewesen, am heiß umkämpften deutschen Markt Schlecker unmittelbar auf den Fersen, mit über 2.300 Filialen in elf Ländern und einem Umsatz, der fünf Milliarden schon lange übersteigt - man könnte ihn als Scharlatan oder Dampfplauderer, wie man hierzulande gerne sagt - abtun.

Doch soviel ist bekannt. Werner predigt nicht Wasser und trinkt heimlich Wein. Das Fundament seiner Theorie gilt offenbar auch weitgehend in der gelebten Praxis: Um Verständnis und Respekt geht es für den geborenen Heidelberger, dessen Großvater und Vater schon Drogisten waren - und darum, ein Unternehmen, aber eben auch eine Gesellschaft zu fördern, in der Persönlichkeitsentwicklung, Vertrauen und Kreativität gedeihen können. Die Leitsätze des "Waldorf-Discounters" ("Manager-Magazin") dürften ihren Niederschlag tatsächlich bis in die letzten Winkel der Konzernstruktur finden. Keine Kette überlässt den Verkäufern vor Ort so viel Verantwortung wie dm. Sie bestimmen das lokale Sortiment und handeln untereinander Dienstpläne und Gehälter aus. Diesbezüglich gibt die Karlsruher Zentrale nur den Steigerungssatz vor. Vorgesetzte werden zum Teil von der Belegschaft gewählt, Verbesserungen ohne Rückfrage bei der Zentrale rasch umgesetzt. Diskutiert wird in großen Runden, Theater-Workshops gehören fest zum Ausbildungsprogramm.

Empfehlungen statt Regeln

"Personalkosten": Gibt es im Konzern nicht. "Kreativposten" und "Mitarbeitereinkommen" heißt das hier. In Blättern wie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" erntet Werner mit solchen, nach Kreativworkshop klingenden Elementen gelinde gesagt Skepsis. Aber der Vater von sieben Kindern ist um die passende Antwort nicht verlegen: "Kennen Sie einen Unternehmer, der Mitarbeiter einstellt, um Kosten zu produzieren?" "Wieviele Regeln gibt es in Ihrem Konzern", will ein Zuhörer wissen. "Regeln? Nein Regeln haben wir nicht", schüttelt Werner den Kopf. "Die Menschen sollen aus Einsicht heraus tätig werden. Bei uns gibt es Empfehlungen." "Und das funktioniert?" Der Fragende aus dem Publikum scheint mehr als skeptisch. Wie der Konzernchef sicher sein könne, dass im Betrieb alles mit rechten Dingen zugehe, dass die Mitarbeiter keine krummen Dinge drehen? Die Erfahrung habe ihn folgendes gelehrt, sagt Werner: "Der Mensch ist sich seines Tuns bewusst. Wertschätzung bringt mehr als Regeln." Die Sache mit den Regeln habe man vor zwanzig Jahren versucht "und ganz schnell wieder bleiben lassen."

Der (Unternehmens-) Erfolg scheint Götz Werner Recht zu geben. Während es bei Schlecker umsatz- und gewinnmäßig (kolportierte rund siebeneinhalb Milliarden waren es in den vergangenen Jahren) eher bergab gehen soll, rückt die Drogeriemarktkette dm weiter vor. Im Vorjahr wurde erstmals die Fünf-Milliarden-Umsatz-Grenze überschritten. Werner tourt mittlerweile fast hauptberuflich durch die Lande. Als "Wanderprediger" für die Idee des Grundeinkommens, wie der "Spiegel" einmal schrieb. Seit rund fünf Jahren wirbt der Unternehmer mit dieser Idee. Ihre Basis einmal mehr: Eine gerechtere Gesellschaft. Ob er im Laufe seines Berufslebens nie gezweifelt habe an seiner Vision? „Nein", schüttelt der einstige deutsche Rudermeister im Doppelzweier ohne Zögern den Kopf. Ganz im Gegenteil. Proportional zum Wachstum seines Konzerns stieg die Überzeugung an der Richtigkeit seines Tuns. "Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein": Dem dm-Gründer nimmt man selbst diesen verflixt nach Agenturslang klingenden Slogan ab: "Streichen Sie Kundenbindung aus Ihren Gedanken. Schaffen wir Verhältnisse, dass sich der Kunde gerne mit uns verbindet", sagt er und "der Umsatz ist wichtig, nicht unbedingt um zu wachsen. Aber er ist der Applaus des Kunden und die Bestätigung, das Richtige getan zu haben."

Manager auf Sinnsuche

2008 gab Werner den Vorsitz der Geschäftsführung ab. Seit Oktober 2003 leitet er das Interfakultative Institut für Entrepreneurship an der Eliteuniversität Karlsruhe (TH). Bringt die Krise mehr Zuspruch? "Unternehmer und Manager waren auch vorher schon auf Sinnsuche" sagt Werner, "und sie sind es noch." Ob "das Wunder von Werner, der Debattierclub mit mitunter den niedrigsten Preisen der Branche" ("Manager-Magazin") eine Erfolgsgeschichte ist, die wiederholbar ist? Ob Schlecker oder Werner: "Die Entscheidung hat jeder für sich zu treffen", sagt Götz Werner und "nachher weiß man es immer besser." Schleckers Kette bezeichnete Werner übrigens einmal als den "unproduktivsten" Betrieb unter allen Konkurrenten. Ein Träumer ist der Mann also nicht, ebenso wenig wie der Antipode. (Regina Bruckner)