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Der Wunsch nach einem ultramobilen Computer existierte schon vor der Erschaffung des ersten Heim-PCs. Die Vorstellung, einen schlauen Begleiter mit sich tragen zu können, mit dem man sich unterhalten, bilden und kreativ und beruflich entfalten kann, ist zweifellos verlockend. Und wie. In den 1960er-Jahren propagierte Alan Kay bereits das Dynabook. Die Idee wurde vor Jahrzehnten definiert: Klobig darf ein Tablet-PC nicht sein und ganz einfach bedienen lassen sollte er sich auch. Am besten ohne Tastatur, das Display könnte zur Anzeige und Eingabe gleichzeitig dienen.

Evolution

In den 1990ern erprobte man die Stift-Eingabe - der Stylus war geboren. 2002 erfolgte dann der erste Industrie-geförderte Push: Bill Gates rief nach dem neuen Windows XP auch einen Tablet PC-Standard aus. Alle bauten, niemand kaufte. Zu teuer, zu wenig Akkuleistung, zu umständlich zu bedienen. 2005/2006 entsprang dann der UMPC - ein kleiner Touchscreen-PC - Microsofts und Intels Hirngespinsten. Zu teuer, zu umständlich zu bedienen und die Akkulaufzeit war nach wie vor nicht zufriedenstellend.

"Wir wollen 2010 beginnen, indem wir heute ein magisches und revolutionäres Produkt einführen", leitete Apple-Chef Steve Jobs dann am Mittwoch die Vorstellung des ersten Tablet-PCs ein, der alle vermeintlichen Wünsche zu erfüllen verspricht. Das "iPad" ist preislich erschwinglich, einfach zu bedienen und die Akkulaufzeit stimmt auch. Der vor einem halben Jahrhundert ausgesprochene Wunsch wurde erfüllt. Das Rennen ist vorbei, wir können alle glücklich nachhause gehen. Oder nicht?

Was Menschen wollen

Vielleicht ist es doch zu früh, die Revolution auszurufen. Schon schon, das iPad verkörpert diese wahre Verlockung. So schlank und vielseitig, so intuitiv wie ein iPhone und so schön wie ein Stück Zukunft - der Konkurrenz um Jahre voraus, wie es Jobs sagen würde. Aber irgendetwas muss ich übersehen haben. Ich weiß, was es ist, wie es ist und wie viel es kostet. Nur eins weiß ich noch immer nicht: wozu?

Jobs meinte, "nun endlich die Lücke zwischen iPhone und MacBook geschlossen zu haben". Wirklich, gab es da überhaupt eine Lücke? Denn Apples Angaben nach kann das iPad fast nichts, was das iPhone bereits von Anfang an konnte. Mit der Ausnahme eines größeren Bildschirms. Und arbeiten auf einem 9,7-Zoll-Display? Dafür braucht es dann besser doch einen schnelleren, größeren und multitaskfähigen Laptop. Es ist auch kein idealer Netbook-Ersatz. Weil ihm wie dem iPhone standardisierte Anschlüsse vom Schlage USB fehlen, kann man nicht einmal eine Kamera oder einen mobilen Datenträger anschließen. Das einzige was dem iPad bleibt, sind Ebooks und digitale Magazine als Unikum. Und obwohl die Umblättern-Animation zum Niederknien ist, wer möchte schon einen Roman auf einem verspiegelten und strahlenden LC-Bildschirm lesen? Meinte Jobs mit Lücke vielleicht Nische?

Luxusgut

Das iPad befriedigt kein grundlegendes Bedürfnis der Gadget-verrückten Menschheit. Auch ersetzt es kein bislang nachgefragtes Produkt. Ein Novum für einen Apple. Der iMac verdrängte den Mac-Standrechner. Der iPod löste den Walkman ab und führte die Bequemlichkeit der digitalen Musik vor Augen. Das iPhone überrannte die damals zu unrecht "Smartphone" getauften Handys und packte das Internet in die Hosentasche. Aber das iPad ersetzt gar nichts. Der Tablet-PC war bislang nicht existent. Nicht nur, weil er zu teuer und zu klobig war, sondern weil auch niemand so recht wusste, wofür man ihn verwenden sollte. Das iPad kann in seiner jetzigen Form keinen Arbeits-Laptop ersetzen und ist zu groß für die Hosentasche. Auch telefonieren kann man nicht, nicht einmal ein Videokamera lädt zum Chatten ein.

Das iPad ist also purer Luxus. Es füllt keine Lücke aus und dient vorrangig zur Unterhaltung. Es ist ein Couch-PC, neben Smartphone und PC ein "drittes" Rad am Wagen, das beide nicht ersetzt. Ein Ding, das Spaß macht und begeistert, aber eben auch ein Ding, auf das man nicht so dringend haben muss.

Potenzial

Von Apple wird seit dem iPhone jedesmal ein Meisterstück erwartet. Und vielleicht wird das iPad in seiner zweiten oder dritten Generation jene Mängel beseitigt haben, die ihm heute laut Kritikern das Genick brechen. Für Apple ist das iPad die Zukunft des Internet-Surfens und des Medienkonsums. Doch dafür reißt die fehlende Unterstützung von Formaten wie Flash zu viele Löcher in die aktuelle Netzwelt. Es ist auch fraglich, ob Nutzer den Apple-Tablet als ultimative Unterhaltungsmaschine wahrnehmen werden. Alle Filme werden heute in 16:9 produziert, nur das iPad macht den Sprung zurück auf 4:3. Videospiele auf dem großen Screen wirken verlockend. Aber für einen "Gameboy" ist das iPad zu groß und zuhause steht die unvergleichlich besser geeignete Spielkonsole. Die Printverlage hoffen auf die Rettung ihrer Magazine und Tageszeitungen. Für erstere könnte Apple tatsächlich eine moderne und bequeme Plattform geschaffen haben. NatGeo, Time, C't, Der Spiegel oder auch Comics in einem Gerät bei sich haben zu können, mit Videos und sonst allen Vorteilen, die das Netz so bietet, ist tatsächlich interessant. Die Frage ist nur, ob die Leser ob des wachsenden Online-Angebots überhaupt noch an Magazinen interessiert sind.

Wer allerdings mehr möchte, als einem AppStore, iTunes und iBookstore bieten, wird in jedem Fall einen zusätzlichen PC benötigen. Denn außerhalb von Apples zertifizierten Programmen und Inhalten werden iPad-User nur von "außerhalb" bekommen. Tauschbörsen, Google-Apps und Online-Videos abseits von Youtube gibt es bei iPads wie beim iPhone nicht.

Auf der Suche nach dem Killer-Feature

Das iPad ist also noch lange nicht komplett und auf der Suche nach dem Killer-Feature. Eine Funktion, die mich aufspringen und in den Apple Store laufen lässt. Beim iPod war es iTunes und MP3 und beim iPhone war es der "PC in der Hosentasche", der bereits einen Gutteil eines vollwertigen Rechners ersetzt.

Das soll aber nicht heißen, dass aller Tage Abend ist. Vielleicht sehen Nutzer den Mehrwert eines übergroßen iPod Touchs erst, wenn sie in den Händen halten. Das iPad ist eine neue Plattform, die auf der Suche nach ihrer Identität ist. Und betrachtet man die Entwicklung des iPhones könnte die dank AppStore und Entwickler-Community schneller gefunden werden, als man vermuten mag. Noch fehlt der Anreiz, der Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt. Auch der iPod Touch musste erst nach Jahren in mobilen Videospielen seine Existenzberechtigung finden. Aber eines hat Apple definitiv geschafft: Mit dem iPad ist der Tablet-PC nach 50 Jahren Phantasie und Schattendasein nun endlich ins Rampenlicht der Gadget-Bühne gerückt. Wer Apple-Produkte kennt, weiß, dass jetzt der Zeitpunkt ist sich erstmal zurücklehnen und die zweite oder dritte Generation abzuwarten, bis die Ungewissheit und alle Stolpersteine aus dem Weg geräumt wurden.

(Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 28.1.2010)