Soweit im Anwendungsbereich der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) bisher noch dahingehend Zweifel bestanden, wie sich das in einem EU-Mitgliedstaat eröffnete Hauptinsolvenzverfahren auf Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Gemeinschuldner in einem anderen EU-Mitgliedstaat auswirken, dürften diese nunmehr (weitestgehend) beseitigt sein:

Der Europäische Gerichtshof hat im Urteil C-444/ 07 vom 21.1.2010 klargestellt, dass nach Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaates, in dem kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet wurde, verpflichtet sind, alle Entscheidungen im Zusammenhang mit diesem Hauptinsolvenzverfahren anzuerkennen und zu vollstrecken.

Hierfür soll nach Auffassung des EuGH insbesondere die - in der EuInsVO selbst nicht ausdrücklich geregelte - "universale Geltung" des Rechts des Hauptinsolvenzverfahrens sprechen. Dies gilt vorbehaltlich der in der EuInsVO angeführten Nichtanerkennungsgründe: Entscheidungen zur Durchführung oder Beendigung eines Insolvenzverfahrens, die eine Einschränkung der persönlichen Freiheit oder des Postgeheimnisses zur Folge hätten, muss der andere Mitgliedstaat nicht vollstrecken bzw. anerkennen. Gleiches gilt für Entscheidungen, deren Anerkennung bzw. Vollstreckung zu einem Ergebnis führen würde, das offensichtlich mit der öffentlichen Ordnung des anderen Mitgliedstaates, besonders mit dessen Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar wäre. Beide Ausnahmetatbestände, die der EuGH im Übrigen sehr restriktiv interpretiert, waren im entschiedenen Fall nicht erfüllt.

Polen und Deutschland

Der dem Urteil des EuGH zu Grunde liegende Sachverhalt lässt sich schnell zusammenfassen: Ein deutsches Gericht hatte über das sich in Deutschland befindliche Vermögen eines polnischen Gemeinschuldners, über den in Polen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, einen "dinglichen Arrest" , also die Sicherung der Zwangsvollstreckung eines gegen den Schuldner bestehenden Anspruchs mittels Pfändung des Vermögens, verfügt. Das polnische Recht lässt solche Pfändungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber nicht mehr zu. Folglich war das deutsche Gericht nicht berechtigt, die Vollstreckungsmaßnahme zu setzen. In Deutschland war auch kein Sekundärinsolvenzverfahren über das sich dort befindliche Vermögen des Gemeinschuldners eröffnet worden.

Bedauerlich im EuGH-Urteil ist eines: Mit der eigentlichen Zielsetzung des dinglichen Arrestes, eine gläubigerschädigende Verbringung der Vermögenswerte zu verhindern, fand unter dem Gesichtspunkt der in der EuInsVO geregelten Ausnahmetatbestände keine Auseinandersetzung statt. (Eva Spiegel, Axel Thoss, DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2010)