Das Vorlesen nimmt in allen Bevölkerungsgruppen ab - und führt zu einer "Verflachung im sprachlichen Umgang."

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Wien - Wozu überhaupt Kindergarten? "Eltern bringen Kinder, damit sie soziale Erfahrungen machen - vor allem erwarten sie sich eine Vorbereitung auf die Schule", sagt Monika Zechner, die seit mehr als 20 Jahren an der Pädagogischen Akademie (heute: Pädagogische Hochschule) in der Wiener Ettenreichgasse Kindergärtnerinnen ausbildet. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit.

Viel trivialer ist der Fall, dass Eltern ihre Kinder einfach betreut sehen wollen, damit sie ihrem Beruf nachgehen können. Das könne ausschlaggebend sein, dürfe aber nicht zum wichtigsten Grund für den Besuch des Kindergartens sein, mahnt die Pädagogin: "Der Kindergarten darf nicht einfach ein Aufbewahrungsort sein."

Überhaupt ginge es den Kindergärtnerinnen (der Beruf wird vor allem von Frauen ausgeübt) darum, für ihre Arbeit Anerkennung zu finden: Kleinkinderpädagoginnen werden immer noch oft als "Tanten" gesehen, die auf die Kinder aufpassen. Sie fühlen sich unterbezahlt und sie haben kaum Aufstiegschancen - weshalb viele den Beruf, für den sie fünf Jahre lang ausgebildet wurden, nach relativ kurzer Zeit wieder aufgeben.

Zechner sieht eine Entwicklung, die sehr ähnlich jener ist, die Lehrer beklagen: Vom Kindergarten wird (wie von der Schule) erwartet, dass den Kindern all das beigebracht wird, was ihnen daheim nicht beigebracht werden kann, weil die Eltern dafür zu wenig Zeit und Geduld haben. Daher forderten die Eltern von den Kindern Selbständigkeit - denn wenn Kinder sich selber organisieren, haben die Erwachsenen weniger Mühe mit ihnen.

"Da wird von den Eltern jener Stress, den sie selber immer stärker am Arbeitsplatz erleben, auf die Kinder übertragen. Da wird leicht übersehen, dass ein Kind eben kein kleiner Erwachsener ist. Man kann ihm nicht Entscheidungen auferlegen, die es nicht treffen kann. Und man darf den Begriff Selbständigkeit auch nicht missverstehen: Pünktlich sein, freundlich sein, ordentlich sein - das alles wird von vielen Eltern als Selbständigkeit gesehen", erzählt Zechner dem Standard.

Stress für Eltern, Stress für Kinder

Das Umfeld, in dem kleine Kinder leben, werde ohnehin zunehmend schwieriger: "Unsere Gesellschaft ist nicht auf Kinder ausgerichtet. Das Umfeld von Kindern besteht aus Verboten und aus Leistungsanforderungen."

Und von den Kindergärten werde auch noch erwartet, dass sie helfen, dass die Kinder dort hineinpassen. Aber das sei eben nicht kindgerecht. "Spielen", sagt Zechner, nachdem sie mit einer Gruppe von Vierjährigen ein Lied vom Schneemann gesungen hat, "Spielen ist die Arbeit der Kinder."

Kinder lernen spielend - und daher sollten Erwachsene viel mehr mit ihren Kindern spielen.

Aber dafür nehmen sie sich immer weniger Zeit, hat Zechner beobachtet: "In Familien mit Migrationshintergrund hat man oft einen anderen Zugang zu Kindern. Sie gelten einerseits als besonders wichtig, aber andererseits ist es nicht üblich, dass man sich mit ihnen hinsetzt, ihnen etwas vorliest und mit ihnen spielt."

Wobei Zechner betont, dass das Vorlesen in allen Bevölkerungsgruppen abnimmt, Kinder erlebten sprachliche Zuwendung immer seltener, wie sie im Pädagogendeutsch formuliert. Die Folge: "Der sprachliche Umgang verflacht."

So gibt es auch immer mehr Kinder mit deutscher Muttersprache, die sich mit der Sprache schwer tun. Der Kindergarten könne allerdings einiges ausgleichen, sagt Zechner: "Der Kindergarten fördert Kompetenzen im sprachlichen, kognitiven und emotionalen Bereich. Für die Kinder ist es wichtig, dass sie mit Gleichaltrigen zusammen sind." (Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2010)