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Staatssekretär und Italiens oberster Zivilschützer: Guido Bertolaso (rechts) zeigt Barack Obama die Zerstörungen nach dem Erdbeben in L'Aquila im vergangenen Jahr.

Foto: EPA/Anticoli

Italiens oberster Zivilschützer Guido Bertolaso hat massive Kritik an der Erdbebenhilfe in Haiti geübt. "Was ich hier gesehen habe, ist ein "unverhältnismäßiger Einsatz von Mitteln, wenig effiziente Hilfe und keine Koordinierung" , erklärte Bertolaso nach einem zweitägigen Lokalaugenschein im Erdbebengebiet.

Der Staatssekretär kritisierte vor allem die USA, "die zivile mit militärischen Einsätzen verwechseln." Man habe den Militärs zu viel Entscheidungsfreiheit gewährt, statt die Koordinierung einer fähigen Einsatzleitung anzuvertrauen. Die Katastrophenhilfe sei zu einer "Schau der Eitelkeiten verkommen" , kritisierte Bertolaso: "Jeder zeigt hier seine Flagge, stellt sich für die Kameras in Pose und fährt auf großen Geländewagen durch die Gegend, um gesehen zu werden. Bill Clinton hat fürs Fernsehen ein Paar Kartons aus dem Flugzeug geladen. Dann ist er abgereist, statt ein Hauptquartier einzurichten und die Hilfe zu koordinieren. Hier sind 15.000 US-Soldaten gelandet, vier Kriegsschiffe, ein Flugzeugträger, Lazarettschiffe. Trotz dieses gigantischen Einsatzes sieht man in der Hauptstadt kaum Helfer. Die Menschen sind sich selbst überlassen" , klagte Bertolaso.

UN-Einsatzzentrum gefordert

Er habe in Port-au-Prince mit der Regierung gesprochen, mit zahlreichen Botschaftern und Vertretern von Hilfsorganisationen: "Aber niemand konnte mir sagen, wer die Einsätze leitet und koordiniert." Das Versagen beweise die Dringlichkeit der Schaffung eines von der Uno koordinierten Einsatzzentrums für Katastrophenhilfe mit erfahrenem und effizientem Personal: "Das fordern wir seit dem Tsunami in Asien, und viele Länder unterstützen uns dabei, aber konkret passiert nichts."

Außenminister Franco Frattini distanzierte sich umgehend von der Kritik des Staatssekretärs. Roberto Dormino, einer der logistischen Einsatzleiter der Uno in Haiti, wies die Kritik als "unberechtigt" zurück.

Der in England ausgebildete Tropenmediziner Bertolaso arbeitete lange in Afrika und leitete Krankenhäuser in Kriegsgebieten. 1996 wurde er von Premier Romano Prodi zum Chef des Zivilschutzes ernannt, den er in wenigen Jahren zu einem der effizientesten der Welt ausbaute. Er zeichnete auch für die Erdbebenhilfe in den Abruzzen verantwortlich. Der 60-Jährige will in wenigen Monaten in den Ruhestand gehen und sich "privat und ohne Fernsehkameras der Kinderhilfe widmen" .

In Haiti könnte die Zahl der Obdachlosen UN-Angaben zufolge auf eine Million steigen. Zelte und Baumaterial würden dringend gebraucht. Übergangslager für die Überlebenden müssten eingerichtet und unterhalten werden. Der Übergangschef der UN-Mission in Haiti, Edmond Mulet, forderte eine Verstärkung des internationalen Hilfseinsatzes: "Ich brauche Personal, ich brauche Soldaten." Österreich stockt seine Finanzhilfe nun doch um zwei Millionen auf 2,8 Mio. Euro auf. (Gerhard Mumelter aus Rom/DER STANDARD-Printausgabe, 26.1.2010)