Graz/Wien - Frau M. wurde in ihrer Kindheit fünf Jahre lang sexuell missbraucht. Eine tiefe Verletzung, mit der sie durch Verdrängung (über)leben lernte. Ein sexueller Übergriff am Arbeitsplatz ließ die alte Wunde aufplatzen. Posttraumatische Belastungsreaktionen stellten sich ein und machten ihr den Alltag zur Hölle: Panikattacken, Schlaflosigkeit und schließlich ein Abgleiten in die Isolation.

M. begann eine Therapie bei Tara, einem Verein, der in der Steiermark seit 25 Jahren Frauen und Mädchen, die von sexueller Gewalt betroffen sind, berät, betreut und begleitet. M. stabilisiert sich, beschließt, das Martyrium aus der Kindheit aufzuarbeiten. Mit seelischer und rechtlicher Unterstützung des Vereins zeigt sie den Täter an und setzt sich der Belastung eines Prozesses aus. "Ich möchte meine Geschichte zu Ende bringen. Das kann ich nur, wenn ich den Täter anzeige. Und mittlerweile leben andere Kinder in seiner Umgebung" , erklärt sie diesen Schritt.

Neu "bündeln" statt fördern

Doch diese Prozessbegleitung, auf die Frauen in Österreich ein gesetzliches Recht haben, kann Tara künftig nicht mehr anbieten. Denn der Verein erhält vom Justizministerium keinen Fördervertrag mehr, weil es "zur Neustrukturierung im Bereich der bundesweiten Versorgung mit Prozessbegleitungen" kommen soll und die "Ressourcen gebündelt" werden sollen. Im Klartext heißt das: Die Frau muss sich nach monatelanger psychosozialer Betreuung durch den Verein jemanden völlig Neuen für die Prozessbegleitung suchen - und ihre Geschichte wieder erzählen.

Seit November laufen der überparteiliche Frauenrat der Stadt Graz und die unabhängige Frauenbeauftragte, Maggie Jansenberger, dagegen Sturm. Mehr als tausend Unterschriften wurden gesammelt, und die Frauensprecherin der Grünen, Judith Schwentner, richtete eine parlamentarische Anfrage an das Justizministerium. Briefe von Jansenberger an das Finanz- und das Frauenministerium wurden mit dem Hinweis beantwortet, die Zuständigkeit liege bei Justizministerin Claudia Bandion-Ortner.

Diese schwieg zwei Monate, bevor man nun einen Termin für Anfang Februar bekam. Jansenberger kritisiert die mangelnde Sensibilität im Umgang mit dem Thema: "Das aufgebaute Vertrauen der Frau hat in ministeriellen Finanzierungsplänen keinen Platz." Allein das Beantworten von Fragen, wie "Wo genau hatte er jetzt seine Finger?" oder "Was hatten Sie an?", sei jedes Mal "eine harte Belastung für die Frauen". (Colette M. Schmidt/DER STANDARD, Printausgabe, 25.1.2010)