Erziehung damals und heute: Die Gehschule ist vielen bereits zu restriktiv. Eltern von heute geben ihren Kindern Freiheit - und verlangen Selbständigkeit

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Frau P. ist verunsichert. Soll sie ihren fünf Monate alten Sohn bereits vom Babybrei kosten lassen oder nicht? Der Kleine ist interessiert, will mit dem Löffel hantieren. Aber der Ratgeber sagt nein. Als sie ihr Problem im Elternbildungszentrum vorträgt, erhält sie einen Rat, der ihr weiterhilft: Sie solle sich auf ihr Bauchgefühl verlassen und es mit den Regeln und Vorgaben weniger genau nehmen.

"Es ist sehr viel Druck drinnen, nur ja keine Fehler zu machen", erzählt Ilse Kluhs aus der Erfahrung von 25 Jahren Elternarbeit. Sie leitet einen Großteil der Elternseminare im Eltern-Kind-Zentrum in Mödling, wobei "der Renner" im breit gefächerten Angebot das Thema "Grenzen setzen" ist. Kluhs erklärt sich die starke Nachfrage mit einer extremen Verunsicherung der Eltern: "Daran sind die vielen Fachleute schuld. Die haben den Leuten so viel übergestülpt, wie sie es ja richtig machen sollen."

Das Spektrum der Erziehungsliteratur reicht von Thomas Gordon, der es mit seiner "Familienkonferenz" und dem dort propagierten Modell der gewaltfreien Konfliktlösung in tausende Bücherregale gebracht hat, bis zu Bernhard Bueb, der mit seinem "Lob der Disziplin" für Diskussionen gesorgt hat. Dazwischen: Titel über kleine Tyrannen, Babyjahre und Supernannys. Letztere geben auch im TV ihre Tipps.

Viel Theorie, wenig Praxis

Die Konsequenz laut Kluhs: "Es gibt viel theoretisches Wissen, aber wenig Praxiserfahrung." Also wolle man den Eltern Sicherheit geben. Dabei wird meist jene Zielgruppe erreicht, die sich bereits mit Erziehungsfragen beschäftigt - ein Problem.

Eines, das auch Katharina Kamelreiter, seit 15 Jahren Geschäftsführerin des Vereins "Kind&Kegel", erkennt. "Genau die Menschen, die Elternbildung am meisten brauchen würden, bekommen wir nicht herein." Am meisten nachgefragt würden die Spielgruppen, für Kamelreiter eine Art "informelle Elternbildung". Vornehmlich geht es dort um Kontakt mit anderen Kindern und Eltern - beim Freispiel oder der gemeinsamen Jause bleibt auch Zeit für den Austausch. Genau das will Kamelreiter fördern: "Das Ganze soll nicht den Charakter einer Lehrveranstaltung haben."

Die Arbeit mit den Kindern beginnt schon im Alter von null bis sechs Jahren. Eine Entwicklung, vor der beide Pädagoginnen warnen: Eltern-Kind-Kurse sollten nicht in Stress ausarten. Noch etwas bemerkt Kamelreiter nach langjähriger Elternarbeit: Den Kindern werde immer mehr Verantwortung abverlangt - oft zu viel. Im guten Glauben und im Wunsch, nicht "über sie drüberzufahren", würden viele Kinder überfordert. Wenn etwa Einjährige selbständig ihr Gewand aussuchen oder darüber entscheiden sollen, ob sie lieber zum Spielplatz oder zum Eisgeschäft gehen.

Grundsätzlich gilt: Weiterbildungsangebote für Erziehende werden eher präventiv besucht. Genau das ist auch das Ziel der zuständigen Förderstelle im Wirtschaftsministerium. Dort hat es sich Henriette Wallisch seit 1995 zur Aufgabe gemacht, Gewalt in der Familie zu verhindern.

"Wir sind der Meinung, dass wirklich jeder Elternbildung braucht." Natürlich mache man sich auch im Ministerium Gedanken, "wie wir an die weniger Bildungswilligen herankommen", wobei das auch Väter betrifft. Derzeit erreichen die Bildungsangebote nur zehn Prozent von ihnen - bei 90.000 Eltern insgesamt in den Jahren 2007 und 2008.

Die gesetzliche Grundlage liefert seit dem Jahr 2000 Paragraf 39c des Familienlastenausgleichsgesetzes. Die Fördermittel in Höhe von 1,3 Millionen Euro (2009), beziehungsweise 1,4 Millionen Euro (2010), liefert das Ministerium. (Karin Moser/DER STANDARD, Printausgabe, 23./24. Jänner 2010)