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Zum Thema Glück ist so viel gesagt worden, dass man mit dem Lebenskunst-Philosophen Wilhelm Schmid ausrufen möchte, man möge doch das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert des Schweigens über das Glück erklären.

Wenn schon, denn schon, dachte sich daher wohl Michael Hampe. Der Züricher Philosoph lässt in seinem neuen Buch gleich einen ganzen vielstimmigen Chor zur Beantwortung der Frage antreten, ob und wie ein vollkommenes, glückliches Leben möglich sei.

Für die Hirnforschung ist das Empfinden von Glück nichts anderes als ein neuronal-hormoneller Zustand. Und der ist manipulierbar: Eines Tages wird eine medikamentöse Selbststeuerung der eigenen Emotionen möglich sein. "Wir werden zu Herren unserer Stimmungen, Affekte und Gedanken werden." Nötig ist dazu nur eine gewisse Reife im Umgang mit einem solchen "Affektoskop" , um nicht der Suchtgefahr zu erliegen.

Die Vertreterin eines spirituellen Weltverständnisses erinnert dagegen daran, dass wahres Glück nicht in der Jagd nach vergänglichen Lustmomenten bestehen kann. Sondern in der Befreiung von inneren Abhängigkeiten und dem Eintauchen in die Fülle der "lebendigen Gegenwart" durch Achtsamkeit, wie man es in Meditationsschulen seit Jahrtausenden lernen kann. Aus Sicht der Psychoanalyse wieder sind solche Verheißungen wenig mehr als eine aussichtslose Suche nach der in der Kindheit erlebten Totalumsorgung. Mit Freud als Kronzeugen entlarvt die Stimme des Analytikers die Idee eines vollkommenen Lebens angesichts des nur schwer gebändigten Aggressionstriebes als bloße Illusion.

Philosophische Gegensätze mit literarischen Mitteln auszutragen steht in einer altehrwürdigen Tradition. Zu den Vorzügen dieses wundervollen Buches gehört es, dass Hampe seine fiktiven Vertreter nicht "vorführt " oder gar ihre Positionen satirisch überspitzt. Vielmehr verleiht er allen sympathisch ernsthafte, überzeugende Stimmen.

Hinter dem kontrastierenden, aber nicht wertenden Nebeneinanderstellen dieser Stimmen steht kein Relativismus, sondern die Einsicht, dass, so Hampe, "die Anerkennung von Differenzen die Grundvoraussetzung des Glücks ist und die Unfähigkeit, Differenzen zu akzeptieren, der erste Schritt ins Unglück".

Daran leidet auch Hampes fiktiver Herausgeber Stanley Low, Exsekretär einer fiktiven Akademie der Wissenschaften - anders als sein Freund Gabriel Kolk, der weise Gärtner dieser Akademie, von dem das Schlusskapitel stammt. Hätten Hampes fingierte Essays über das Glück allein schon ein bemerkenswertes Buch ergeben, so wird es zu einem auch literarischen Lesevergnügen durch diesen fiktionalen Rahmen. Kolks Beschreibung vom Tod des armen Low kurz vor Drucklegung endet in Reflexionen über die Heiterkeit, die in der bewussten "Standpunktlosigkeit" liegen kann, die allein die Wahrnehmung der Welt und Mitmenschen in all ihrer Vielstimmigkeit und Komplexität ermöglicht. (Oliver Pfohlmann, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 23./24.01.2010)