Bast über Bildungsinhalte: "Nicht das Spezialwissen wird in diesem Jahrhundert der Schlüssel zum Erfolg sein, sondern vielmehr die Fähigkeit, verschiedene Wissensgebiete miteinander zu verknüpfen."

derStandard.at/Winkler-Hermaden

Der neue Minister als Anwalt der Wissenschaft, sollte sich, falls nötig, auch bei den Kollegen unbeliebt machen, meint Bast.

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Bast hält nichts von resigniertem Zurücklehnen: "Diese gesellschaftspolitische Hoffnungslosigkeit, die in diesem Land um sich greift, muss durchbrochen werden."

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"Was muss noch passieren bis alle Dämme brechen?" Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst in Wien, ist schockiert über die "politische Kulturlosigkeit" in Österreich, deren Resultat seiner Meinung nach unter anderem das lange Warten auf einen Wissenschaftsminister ist. "Die traditionelle Politik muss sich sehr rasch etwas überlegen, damit sie die Ansprechmöglichkeiten der jüngeren Generationen nicht völlig verliert", spielt Bast auf die politische Tatenlosigkeit nach den Uni-Protesten an. derStandard.at sprach mit ihm außerdem über die Herausforderungen an den Universitäten, der Explosion von Detailwissen zu begegnen, und eine gesetzlich einzuhaltende Roadmap, die den Unis mehr Geld garantiert.

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derStandard.at: Herr Bast, Sie haben letzte Woche in einer Aussendung ihrem Unmut Luft gemacht und sich indirekt darüber beschwert, dass es so lange dauert, bis in Österreich endlich ein neuer Wissenschaftsminister präsentiert wird. Was für einen Wissenschaftsminister würden Sie sich denn wünschen?

Bast: So wie Politik in diesem Land derzeit strukturiert ist, kann man jedem, der jetzt Wissenschaftsminister wird, nur viel Glück wünschen. Er braucht enorm viel Kraft und enorm viel Mut, um aktiv etwas bewirken zu können, weil derzeit in diesem Land unglaubliche Dinge passieren. Die traditionelle Politik wird sich sehr rasch etwas überlegen müssen, damit sie nicht völlig die Basis und die Ansprechmöglichkeiten in der jüngeren Generation verliert. Man braucht nur die Umfragen lesen, was in der Altersgruppe zwischen 16 und 25 Jahren passiert, wer und welche Art von Politik dort angeblich Furore macht. Das ist wirklich deprimierend.

derStandard.at: Haben die Studierenden nicht durch ihre Proteste widerlegt, dass sie politikverdrossen sind?

Bast: Sie haben das Vorurteil klar widerlegt, dass die Jugend kein Interesse an sozialer Gestaltung hat. Es war deutlich zu sehen, dass ein völlig anderes Politikverständnis und eine andere Art der politischen Kommunikation und Artikulation vorherrscht. Man kann darüber diskutieren, ob die Vorgangsweisen immer ideal waren, aber es war eindrucksvoll junge Menschen zu erleben, die es in einer offensichtlich sehr spontanen Art und Weise geschafft haben die Medien, die Politik und die Menschen in diesem Land, weit über politische Funktionäre hinaus, zu beschäftigen. Das haben die Universitäten mit ihren Appellen an die Politiker zuvor nicht geschafft. Das sollte eigentlich ein Alarmsignal sein.

derStandard.at: Haben Sie einen persönlichen Wunschkandidaten für das Ministeramt?

Bast: Nein, es muss eine Person sein, die ein Herzensinteresse daran hat, mit allen Personen und Gruppen, die an den Universitäten sind, ernsthaft zu kommunizieren. Außerdem sollte er oder sie sich in der Regierung aus dem Fenster lehnen, Anwalt für die Anliegen der Wissenschaft und Forschung sein und dafür auch in Kauf nehmen, in der Regierung unbeliebt zu sein und kritisiert oder als "Visionär" abgestempelt zu werden. Es wird langfristig nicht ausreichen, die Gesellschaft durch Bankenrettungspakete, wieder in erfolgreiches und ruhiges Fahrwasser zu führen. Die Universitäten haben solche Rettungs- und Stimulationspakete mindestens so nötig.

derStandard.at: Sie selbst haben jahrelang im Wissenschaftsministerium gearbeitet und sich mit Hochschulmanagement und Hochschulpolitik beschäftigt. Dann müssten Sie ja eigentlich wissen, was zu tun wäre, um die Hochschulen wieder auf Vordermann zu bringen. Was wäre ihr Erfolgsrezept?

Bast: Auf der einen Seite hat das Erfolgsrezept ein finanzielles Element. Die Universitäten brauchen eine Roadmap und zwar nicht als politisches Lippenbekenntnis sondern gesetzlich abgesichert, damit das 2-Prozent BIP-Ziel bis zum Jahr 2015 erreicht wird. Es ist eine unabdingbare Voraussetzung, dass das Parlament in diesem Jahr noch diese Roadmap beschließt.
Daraus sollte eine Ermutigung der Universitäten resultieren, völlig neue Wege zu gehen. Die Universitäten sind massiv in Gefahr zu wenig strukturelle Innovationskraft zu haben. Es geht nicht nur darum das Bestehende besser zu machen, sondern Vernetzungen und Verknüpfungen von Wissenschaft, Forschung und Kunst herbeizuführen. Nicht das Spezialwissen wird in diesem Jahrhundert der Schlüssel zum Erfolg sein, sondern vielmehr die Fähigkeit, verschiedene Wissensgebiete miteinander zu verknüpfen und daraus Lösungen zu finden. Auf diese Komplexität, die exponentiell zunimmt, muss auch das Bildungssystem, insbesondere das Hochschulsystem reagieren.

derStandard.at: Würde das bedeuten, Bologna zu reformieren oder ganz rückgängig zu machen?

Bast: Die Universitäten und Politiker müssen sich gut und rasch überlegen, ob die grundsätzlichen Ziele von Bologna nicht geändert gehören. Trotzdem können nicht alle Fehlentwicklungen dem Bologna-Prozess zugeordnet werden. Die Fragmentierung der Hochschulbildung hat schon wesentlich früher - in den 80er Jahren - begonnen. Die Universitäten werden heute ihrem Anspruch - nämlich Möglichkeiten zu schaffen, das Wissensuniversum zu bereichern und damit zu einer positiven Entwicklung unserer Gesellschaft beizutragen - nur mehr bedingt gerecht. Die Explosion des Detailwissens ist so groß, dass die Gefahr besteht, dass sich jene Institutionen, die mit Wissen und Kreativität zu tun haben, im Detail verlieren und der Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen wird.

derStandard.at: Sie haben das Privileg sich jene Leute aussuchen zu können, die an ihrer Uni studieren dürfen. Die Uni Wien hingegen muss jeden nehmen. Sind Zugangsbeschränkungen in allen Fächern der richtige Weg?

Bast: Ich habe Verständnis für meine Rektorenkollegen, die in den letzten Jahren systematisch finanziell ausgehungert wurden. Es gab nicht einmal im Ansatz ausreichende Budgetsteigerungen im Vergleich zur Steigerung der Studentenzahlen. Mein persönlicher politischer Ansatz ist aber der, dass es für die Gesellschaft nicht der richtige Weg wäre, zu sagen: wir haben zu wenig Geld für die Universitäten, das akzeptieren wir und daher führen wir eben quantitative Zugangsbeschränkungen ein. Die Gesellschaft muss ein vitales Interesse daran haben, dass mehr in Bildung investiert wird und mehr Studienplätze und Ausstattung zur Verfügung gestellt werden.

derStandard.at: Machen es sich die Rektoren nicht zu einfach, wenn Sie die Schuld immer nur auf das Ministerium und das fehlende Geld schieben?

Bast: Wenn die Universitäten nicht so viel unternommen hätten, wäre dieses System mit dieser Art der Budgetierung schon lange zusammengebrochen und hätte niemals jenen Standard internationaler Wettbewerbsfähigkeit, der trotz allem noch vorhanden ist. Das ist das Produkt extremster Anstrengung der Universitäten. Natürlich ist es eine Pflicht der Rektoren zu sagen, dass zusätzliches Geld nötig ist. Eine Alternative dazu gibt es nicht. Aber Geld allein ist auch kein Allheilmittel.

derStandard.at: Warum sind an ihrer Universität keine Hörsäle besetzt worden?

Bast: Das müssen Sie die Studierenden fragen. Ich kann nur sagen: wir reden sehr viel und offen hier miteinander. Kommunikation ist das wichtigste Management-Tool.

derStandard.at: Die Uni-Proteste haben bisher keine politischen Konsequenzen nach sich gezogen. Was bleibt von der Protestbewegung?

Bast: Das Selbstbewusstsein der Universitäten und eines guten Teils der hier Arbeitenden - nicht nur der Studierenden - hat sich geändert. Selbstbewusstsein ist eine sehr wichtige Voraussetzung für politisches Handeln. Das soll man nicht geringschätzen, auch wenn die Protest-Bewegung nun wieder abgeflacht ist. Dieses Selbstbewusstsein wird nachwirken.

derStandard.at: In Ihrer Aussendung letzte Woche haben Sie mit Verweis auf die Asylpolitik der Innenministerin oder die Vorgänge in Kärnten, davon gesprochen, dass die „Schraube der politischen Kulturlosigkeit" in Österreich immer weiter gedreht wird und die Toleranzgrenzen nachjustiert werden. Wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden?

Bast: Indem immer mehr Leute den latenten Unmut, den sie verspüren, auch öffentlich artikulieren. Man muss die Menschen dazu bringen, Ungeheuerlichkeiten als solche zu erkennen und zu benennen. Ich war ehrlich gesagt überrascht, wie viele positive Reaktionen ich auf diese Aussendung erhalten habe. Eine Zivilgesellschaft lebt von Zivilcourage, Defaitismus und zynische Larmoyanz bringen uns nicht weiter, im Gegenteil. Es ist kein Weg sich zurückzuziehen in die innere Immigration. Diese gesellschaftspolitische Hoffnungslosigkeit, die in diesem Land um sich greift, muss durchbrochen werden. Es gibt aktive Handlungsfelder, insbesondere Bildung und Kunst. Wenn man wert darauf legt, in einer Gesellschaft zu leben, die Zukunft hat, muss man das Risiko in Kauf nehmen, kritisiert zu werden. Und Risiko ist das Wesen von Wissenschaft, vielleicht noch mehr von Kunst. (Teresa Eder/derStandard.at, 24.01.2010)