"Sehr alarmierend" sei die Praxis der USA, sich in Angelegenheiten souveräner Staaten mittels Gewalt einzumischen, meint der ehemalige Chef des russischen KGB-Auslandsgeheimdienstes, Leonid Schebarschin, in einem seiner seltenen Interviews. Hintergrund sei immer das strategische Interesse am Öl, der Kampf gegen den Terrorismus nur Vorwand.

Alarmierend sei besonders, dass Amerikas Tendenz, schwächere Staaten anzugreifen, zu deren Aufrüstung führe: "Natürlich sehen sich Länder, die nicht auf einer Linie mit Amerika liegen, zur Beschaffung von Waffen gezwungen. Dabei schließe ich Atomwaffen nicht aus."

In welcher Reihenfolge Amerika nach dem Irakkrieg seine Probleme mit den "Paria-Staaten" löst, lässt der Exgeheimdienstler offen. Nicht sicher fühlen könne sich der Iran. Laut Schebarschin, der jahrelang für den sowjetischen Geheimdienst im Iran tätig war, will Amerika unbedingt seine Position in der "regionalen Supermacht" Iran zurückerhalten.

Einen "durchsichtigen Hinweis" gebe es auch auf Weißrussland, seit der US-Kongress die Prüfung der persönlichen Finanzen des Präsidenten Alexander Lukaschenko im Ausland initiiert habe.

Für geopolitisch bedeutsam hält Schebarschin eine sich abzeichnende Konfrontation der USA mit China, das in naher Zukunft den einzigen Gegenpol darstellen könne. "China entwickelt sich wirtschaftlich dynamisch und lässt militärisch die Muskeln wachsen." Freilich sei China an keiner Konfrontation mit seinem wichtigen Handelspartner interessiert: "Aber Amerika kann sich nicht an irgendeine Macht gewöhnen, die politisch oder ökonomisch Widerstand leisten könnte." Chinas Mangel an Energieträgern, Aussagen amerikanischer Strategen oder Militärbasen wie in Kirgistan ließen vermuten, dass die USA bei all ihren Aktionen Peking im Blickfeld hätten. (DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.4.2003)