Wien - Naziverbrecher, die eingewiesene Kinder töteten, habe es nicht nur am Spiegelgrund selbst gegeben, in der mörderischen Wiener NS-Kinderpsychiatrie auf dem Steinhof. Sondern ebenso in den Reihen der Nazi-Jugendwohlfahrt in Wiens Ämtern, die "eine bisher unterschätzte Rolle im Rahmen der nationalsozialistischen Euthanasie an Kindern" eingenommen habe.

Dieser Ansicht ist Ernst Berger, Vorstand der Kinderpsychiatrie im Wiener Krankenhaus auf dem Rosenhügel. Angesichts einschlägiger Studien aus Deutschland sei davon auszugehen, "dass auch in Wiens Jugendämtern bis hinein in die 60er-Jahre NS-Täter gearbeitet haben", sagte er bei einem Kongress österreichischer, deutscher und schweizerischer Jugendpsychiater.

Die Nazis in den Ämtern, so Berger, hätten Vorarbeiten für die Nazis unter den Psychiatern erledigt. Indem sie Kindern und Jugendliche in den Akten als "unerziehbar", "sexuell verwahrlost", "politisch oppositionell" bezeichneten. Oder auch als "der Swingjugend zugehörig" - alles Prädikate, die einen Spiegelgrundaufenthalt rechtfertigten.

Bei der Recherche für ein Projekt der Nationalbank über "Traumatisierungen" auf der Psychiatrie unter Hitler sei man zudem Überweisungen vom Spiegelgrund in die beiden Jugend-KZ Uckermark und Moringen auf die Spur gekommen, führte Berger aus. Um wie viele Betroffene es sich gehandelt habe, wisse man noch nicht, doch "die Forschungsarbeiten werden weitergeführt". (bri/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5./6. 4. 2003)