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Skimützen als Schutz vor Diskriminierung sind die Markenzeichen der Schuhputzer von La Paz.

Foto: APA/EPA/Alipaz

Das Viertel San Sebastián von La Paz ist wenig einladend: hupende Minibusse, enge, nach Urin stinkende Gassen. Aber San Sebastián liegt günstig: Nur wenige Blocks vom Zentrum entfernt und auf halbem Weg zur Oberstadt El Alto, in der sich zehntausende Arbeitsmigranten aus dem Hinterland angesiedelt haben. Mitten in San Sebastián liegt die Stiftung Nuevo Dia. Ein heruntergekommener Kolonialbau mit verrammelten Fenstern und einem Vorhängeschloss an der vergitterten Eingangstür - eine Oase für Brian.

Der Schuhputzer hat einen Elfstunden-Tag hinter sich. Seit sechs Uhr ist er auf den Beinen, war in der Schule, ist mit dem Bus durch die halbe Stadt gegondelt, hat ein paar Stunden gearbeitet und magere 15 Bolivianos (1,50 Euro) eingenommen. Müde streift er sich die Skimütze vom Kopf - das Markenzeichen der Schuhputzer von La Paz, die sich damit vor Diskriminierung schützen wollen. Dann räumt der 18-Jährige seinen Schuhputzkasten in den Spind, holt frische Klamotten heraus und duscht sich erst einmal.

Andere Schuhputzer müssen ihr Arbeitsgerät jeden Tag durch die halbe Stadt schleppen und sich im Schatten von Hauseingängen umziehen. Auch Brian, der seit seinem 14. Lebensjahr auf der Straße arbeitet, hat so begonnen. Jetzt schätzt er die Geborgenheit von Nuevo Dia: "Ich fühle mich ein bisschen wie in einer Familie."

Denn Nuevo Dia ist nicht nur ein Schließfach mit Bad. Mittags gibt es hier ein billiges Essen für die derzeit rund 100 Schuhputzer, nachmittags Kokatee und eine Semmel. Brian schätzt besonders die Bibliothek. Dort sitzt er nach der Dusche und brütet über einem Arbeitsblatt, das ihm seine Spanischlehrerin gegeben hat. Brian ist ehrgeizig, er will nächstes Jahr die Matura schaffen und dann Lehramt studieren.

"Uns ist es wichtig, dass die Schuhputzer an eine Zukunft jenseits der Straße denken" , sagt Wilmer Tapia. "Daher legen wir Wert darauf, dass sie in die Schule gehen oder studieren." Er selbst war nach einem Streit mit der Stiefmutter auf die Straße gegangen, hatte die Schule abgebrochen und sich als Schuhputzer durchgeschlagen. Inzwischen ist er Touristikstudent, steht kurz vor dem Abschluss und legt eindrucksvolle Französisch- und Englischkenntnisse an den Tag. Und er ist einer der Leiter von Nuevo Dia.

Vor sechs Jahren stand die einst von einer Französin gegründete Stiftung nach deren Tod vor dem Aus - bis die Schuhputzer selbst die Sache in die Hand nahmen. "Dieses Projekt durfte nicht sterben, ich verdanke ihm so viel. Ohne Nuevo Dia wäre ich heute vielleicht Alkoholiker oder Drogendealer" , sagt der 27-Jährige.

Mit einer Handvoll Arbeitskollegen und der Hilfe freiwilliger Sozialarbeiter brachte er die Stiftung voran. Praktisch ohne Spenden, selbst finanziert durch die paar Bolivianos für die Spindmiete und das Essen. "Wir wachsen an unserer Aufgabe. Und das wichtigste ist doch, dass wir den Kindern ein Beispiel geben, dass man es mit Willen und Anstrengung zu etwas bringt im Leben" , sagt Wilmer.

Er selbst putzt nur noch selten Schuhe. Meistens ist er in der Stiftung, um organisatorische Fragen zu klären, ebenso wie der Anwalt Juan Carlos, der Informatiker Pedro - und vielleicht bald der Lehrer Brian. (Sandra Weiss aus La Paz/DER STANDARD, Printausgabe, 2.1.2010)