Bild nicht mehr verfügbar.

Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Santer

Foto: REUTERS/Benoit Doppagne

Brüssel - Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Santer stellt im Zuge der EU-Reformdebatte eine immer stärkere Zurückhaltung der größeren Mitgliedsstaaten fest. "Früher waren die kleinen Staaten ängstlich gegenüber Europa eingestellt. Heute ist es umgekehrt. Die Großen fürchten sich, von den Kleinen überrumpelt zu werden", sagte der frühere luxemburgische Ministerpräsident, der heute die Regierung seines Landes im EU-Verfassungskonvent vertritt, am Donnerstag vor Journalisten in Brüssel. In der künftigen erweiterten Union werden einander nämlich sechs große Staaten (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und Polen) neunzehn mittleren und kleineren Staaten gegenüber stehen.

Wahl des Eu-Präsidenten komme "Schwächung und Diskreditierung der Europäischen Kommission" gleich

Daher hätten Deutschland und Frankreich auch die Schaffung eines gewählten EU-Präsidenten vorgeschlagen, was einer "Schwächung und Diskreditierung der Europäischen Kommission gleichkomme, kritisierte der Christdemokrat. Die auf das Wohl der Gemeinschaft ausgerichtete Kommission habe sich nämlich bisher als "bester Garant für die Verteidigung der Interessen der kleineren Staaten" erwiesen, da sie ein "Schild gegen das Eingreifen der Großen" gewesen sei.

Benelux-Staaten würden "Doppelspitze" vehement ablehnen

Santer bestätigte, dass die Benelux-Staaten hinsichtlich der institutionellen Aspekte der EU-Reform die Ansicht von 16 anderen kleinen Staaten teilen, die unter Federführung des österreichischen Regierungsvertreters Hannes Farnleitner am Freitag am Rande der Konventstagung ein gemeinsames Papier präsentieren wollten. Darin wird die so genannte "Doppelspitze" vehement abgelehnt und eine Beibehaltung der rotierenden EU-Ratspräsidentschaft gefordert.

Erfahrung, dass Präsidentschaften kleinerer Staaten größere Erfolge haben

Diesbezüglich wies Santer die Behauptung von Paris und Berlin zurück, die kleineren Staaten könnten sich künftig bei der Organisation der halbjährlich wechselnden Präsidentschaften überfordert fühlen. Er habe nämlich als Chef der EU-Kommission in den Jahren 1995 bis 1999 die Erfahrung gemacht, "dass im Durchschnitt die Präsidentschaften kleinerer Staaten größere Erfolge erzielten als jene der größeren Staaten". Das sei auch logisch. Während nämlich die kleinen Staaten alles täten, damit ihre Präsidentschaft ein Erfolg werde, versuchten die größeren Mitglieder oft Eigeninteressen zu verfolgen. Als Beispiel nannte Santer auf die Tatsache, dass der Vertrag von Nizza, dessen Mangelhaftigkeit die Union zur Einsetzung des Konvents bewogen hat, unter französischem Vorsitz ausgearbeitet wurde.

Spaltung der Union in der Irak-Krise habe Bestrebungen für gemeinsame Außenpolitik vorangetrieben

Nach Ansicht von Santer hat sich die Irak-Krise und die Spaltung innerhalb der Union als "hilfreich" bei den Bestrebungen erweisen, die gemeinsame EU-Außenpolitik "voranzubringen": "Diese Energie müssen wir nützen. Auch in der Vergangenheit ist Europa durch Krisen gewachsen", sagte der Politiker, unter dessen Ratsvorsitz die EU während des zweiten Golfkrieges in der ersten Hälfte des Jahres 1991 stand. (APA)