"Erwin Wurm hat durch die Medien Fotografie und Film ein neues Kriterium in die Skulptur eingeführt: "Zeit", schreibt Peter Weibel in einem von ihm herausgegebenen Katalog (Hatje Cantz Publishers) über den Künstler. Nicht zuletzt mit diesen Arbeiten, den so genannten "one minute sculptures", hat sich Erwin Wurm, Jahrgang 1954, in der internationalen Kunst einen bedeutenden Namen geschaffen.

Er arrangiert Begegnungen zwischen menschlichen Körpern und Alltagsobjekten oder lässt sie nach einer Handlungsanweisung bestimmte Positionen einnehmen. Skulptur als Event: In seinen Ausstellungen fordern knappe, schematische Zeichnungen die Besucher auf, sich auf Podesten in die laut Handlungsanweisung beschriebene Haltung zu begeben. "Diese ,one minute scultpures' sind Skulpturen, die eben nur für kurze Zeit existieren", erklärt dazu Erwin Wurm, "eine Minute steht als Synonym für kurz, das kann dann zehn Sekunden sein oder auch zwei Minuten."

Fotostrecke "Verstörung"

Mit diesem Konzept will sich der Künstler der klassischen Forderung der Bildhauerei, dass eine Skulptur Äonen überdauern müsse, entgegensetzen. "Ich habe den Gegenzug angetreten, weil ich mir denke, dass unsere Gesellschaft mehr und mehr auf Kurzlebigkeit aus ist, also übersteigere ich das noch und mache etwas, das noch kürzer existiert."

Er wollte dabei aber nicht etwas schaffen, das nur für einen Augenblick existiert und dann nicht mehr rückholbar ist. Mit Hilfe der "Instruktionszeichnungen" ist es möglich, die Skulpturen wieder zu realisieren. "Die ,one minute sculptures' existieren also auf den drei Ebenen Zeichnung, Foto und tatsächliche Skulptur, die ich je nach Ausgangssituation einsetzen kann."

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Was war für Sie der Ausgangspunkt für diese RONDO-Fotostrecke?
Das Grundkonzept war die Verstörung. Ich fühle mich verstört durch die internationale Politik und durch die österreichische Politik, die in meinem Leben sehr präsent ist. Politik ist in unser aller Leben präsent, meistens ist man sich dessen aber nicht bewusst. Ich bin verstört, und das ist der wichtigste Hintergrund dieser Arbeit. Zweitens: Mit Mode wird immer Schönheit suggeriert, oder auch eine gewisse Identität. Ich denke, man müsste auch in diesem Bereich aufgrund der politischen Tatsachen die Dinge anders sehen. All das sage ich nicht, weil ich für oder gegen jemand bin, sondern weil ich es als eine der größten Gefahren überhaupt empfinde, dass ein Staat so übermächtig geworden ist, dass er sich alles erlauben kann - und die anderen schauen mehr oder minder zu. Das ist wirklich gewaltig gefährlich und lässt mir keine Ruhe.

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Eigentlich gar nicht wichtig. Ich wollte schon das Bild der schönen Frau, der Frau, die schöne Mode trägt, ein bisschen brechen - und eben verstören. Das sind ja Dinge und Situationen auf den Fotos, die nicht normal sind, die sonderbar sind. Es ist auf jeden Fall keine Modefotografie, das interessiert mich auch nicht. Ich wollte mit diesen Models etwas machen, mit diesem Archetyp einer schönen Frau. Ich wollte auf der einen Seite sexuelle Aspekte herausarbeiten, aber in eine verstörende Richtung - den Rest sagt ja der Titel.

Auch in früheren Arbeiten haben Sie oft Bekleidung benutzt.
Kleidung ist nun einmal eine zweite Haut, eine zweite Hülle, ein Identitätsträger. Man sagt ja auch "Kleider machen Leute", das ist eine Binsenweisheit. Mir geht es in meiner Arbeit nie um den Körper, sondern immer um die Person, die dahinter steht. Die Person als Einheit, die aus einem psychologischen Anteil besteht, aus dem Körper und vielen anderen Aspekten.

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Was ist Ihre persönliche Beziehung zu Kleidung und Mode?
Die ist eigentlich schon etwas gestört, ich weiß nie, was ich anziehen soll. Und ich weiß nicht, woran das liegt. Manchmal kaufe ich mir schon modische Sachen, dann sind mir die aber wieder zu modisch, das ist ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits fasziniert es mich, schöne Menschen schön angezogen zu sehen, auf der anderen Seite wird einem dabei sofort wieder die Oberfläche daran bewusst, und es kippt dann wieder. Es ist wirklich ambivalent, es gefällt mir und gleichzeitig stößt es mich ab.

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Sind Sie damit einverstanden, als Konzeptkünstler bezeichnet zu werden?
Ich bin Bildhauer. Natürlich mache ich Konzepte, ist schon klar. Ich will für mich aber diesen traditionellen Begriff haben, weil es mich interessiert, ihn zu brechen. (Der Standard/rondo/Margit Wiener/28/03/2003)
Fotos: Erwin Wurm

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