Common
Electric Circus
(Universal)

Foto: Universal

Das Ergebnis ist ein Meisterwerk, das trotz seiner Vielfalt und den illustren Gästen nicht in Einzelteile zerfällt.

Als Common vor zwei Jahren Macy Gray für den Song "Geto Heaven" in die Pflicht nahm, konnte man kaum anders, als von einem "Dream Team" zu sprechen. Zumal damit zwei stark am klassischen Soul orientierte Künstler ganz im Sinn ihrer Neigung ein bestechendes Resultat erzielten: Geto Heaven besaß Schwere, eloquente Funkyness, und mit der Stimme Grays eine emotionelle Übersetzerin, wie man sie im HipHop sonst kaum hört. Aber auch ohne die prominenten Gäste, die Common in der Vergangenheit an seiner Seite hatte – von Erykah Badu über Q-Tip bis Lauryn Hill -, zeichnet den HipHop des in Chicago Geborenen eine rare Beseeltheit aus.

Das Erbe des "Windy-City-Soul" hat Common merklich verinnerlicht: sei es die fiebrige Intensität eines Otis Clay oder die Sanftmütigkeit von Platzhirsch Curtis Mayfield. Selbst verwandte Größen wie Philadelphias The Roots oder die beiden New Yorker Mos Def und RZA können Common hier nicht das Wasser reichen.

Dabei ist Common, der bürgerlich Lonnie Rashid Lynn heißt, nicht zwanghaft vergangenheitsorientiert. Er filtert lediglich aus verschiedensten Einflüssen, Genres und Persönlichkeiten den kleinsten gemeinsamen Nenner seines Werks: Soul. Und das ist heute keine Selbstverständlichkeit.

Bis in die frühen 90er-Jahre hinein konnte man HipHop als nachvollziehbare Modifikation von Funk verstehen. Die Samples alter Soul- und Funk-Platten gewährten diese Zuordnung ebenso wie die Resultate, die trotz der neu in den Mittelpunkt gerückten Beats und Breakbeats mehrheitlich dem so genannten Flow, also einer Eingängigkeit innerhalb gewisser ästhetischer Parameter, zuarbeiteten. Ausnahmen wie die Polit-Rapper Public Enemy gab es natürlich immer.

Mit der zunehmenden Vermengung von Techno-Spielarten oder Dub veränderten sich diese Parameter. Neue Ästhetiken schufen neue Paarungsmöglichkeiten und gebaren Genres wie Jungle oder Big Beat, die ihrerseits wieder auf die Ausgangsbasis HipHop zurückwirkten. Immer kompliziertere Arrangements waren die Folge, und Begriffe wie Beat-Architektur mussten herhalten, um sich sprachlich den komplexen Tracks noch irgendwie nähern zu können. Auch diesbezügliche Großmeister wie der Produzent Timbaland sind nicht davor gefeit, sich ob ihrer Detailversessenheit manchmal in die Sackgasse der Mühsal zu bewegen.

Den oft so schwierigen Spagat aus Komplexität und Eleganz meistert Common auf seinem fünften Album Electric Circus mit selten gehörter Souveränität. Bereits das Cover, das sowohl Sgt. Pepper von den Beatles als auch Jimi Hendrix' Axis: Bold As Love zitiert, lässt eine großzügig angelegte Spielwiese vermuten. Folgerichtig öffnet sich Common – ursprünglich Common Sense genannt – Richtung Pop. Auf seine Weise. Wer nette Sing-alongs erwartet, wird enttäuscht sein. Denn Common verzichtet auf Bewährtes und nimmt lieber zwischen den Stühlen Platz. Dort ist es zwar weniger gemütlich, doch die Bequemlichkeit ist bekanntlich ein Feind des Fortschritts. Ergebnisse wie Jimi Was A Rockstar geben dieser Haltung Recht. Zwar besitzt dieses Stück eine stark perkussive Basis, HipHop ist es jedoch nicht mehr. Statt dessen entsteht Neues: Verhalten jaulende Gitarren (Jimi!), tribalistisches Trommeln und mehrstimmiger Gesang, der von elektronischen Störgeräuschen penetriert wird, machen Jimi Was A Rockstar zu einem der wunderlichsten Songs auf Electric Circus.

In I Am Music, einem Duett mit Jill Scott und einem weiteren Höhepunkt dieses damit nicht gerade geizenden Albums, integriert er Jazz-Hörner zu locker hüpfenden Beats, während er in I Got A Right Ta, einem düsteren Stück BluesHop, Gast-Rapper Pharrell Williams Forderungen durchs Mikro stellen und ihm mit einer Mundharmonika die entsprechende historische Definition widerfahren lässt. Common, dieser charmante Hundling, ist mit allen Wassern gewaschen!

Auch die übrige Gästeliste repräsentiert den Ideenreichtum, den Common hier auslebt: Mary J. Blige (okay, über die kann man streiten) ist vertreten, Rapper Cee-Lo, Laetitia Sadier von Stereolab singt einen gar nicht danach klingenden Song namens New Wave, und ein gewisser Prince, im Sprengen von Genres auch nicht ganz unerfahren, ist ebenfalls bei mehreren Songs als Instrumentalist beteiligt. Weiters der Brite Omar, Sonny von den Hardcorlern P.O.D. und Erykah Badu. All diese Künstler arbeiten unter Commons Führung einem der besten HipHop-Alben unserer Tage zu. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.4.2003)