Lange bevor Gloria Estefan in den 80ern mit der Miami Sound Machine oder heute ein basshaltiger Elektro-Verschnitt namens Booty und stupider Trance den Sound von Miami auf Ballermann-Niveau gedrückt hatten, blühte im feuchten Süden Floridas eine kleine, vielfältige Musikszene, die in den mittleren 70ern mit George McCrae (Rock You Baby!) und später mit den Disco-Göttern KC & The Sunshine Band (That's The Way I Like It! etc.) ihre Superstars hatte. Das Duo Sam and Dave, das mit Songs wie Hold On, I'm Coming oder Soul Man in die Charts schoss, formierte sich ebenfalls in Miami, und auch der sexy unterkühlte Tasten-Funker Latimore startete aus dem Sunshine State heraus seine Karriere.

Das neueste Juwel der Musikarchäologen des britischen Soul-Jazz-Label widmet sich dem Output dieser Stadt in den Jahren 1967-1974, einer Zeit, in der Soul zu Funk mutierte. Wie in anderen großen US-Städten setzte sich auch die Musik-Szene Miamis aus einer Vielzahl von Independent-Labels zusammen. Die Vermutung, dass, je tiefer der Süden, desto zäher der Soul sei, offenbart sich auf der Sammlung Miami Sound als Irrtum.

Klar gab es auch in Florida Veröffentlichungen, die die ruralen, nahe am Gospel beheimateten Merkmale des Southern Soul trugen. Der Sound der Hauptstadt Miami war jedoch überwiegend im Up-Tempo angesiedelt. Zwar erden fette Orgeln die offenbar unter Einfluss stehenden Rhythmusfraktionen und weisen den exaltierten Bläsern die Richtung. Doch für richtige Schmachtfetzen scheint Miami nicht das Pflaster gewesen zu sein. Dafür ist der Einfluss der in der Millionenstadt lebenden Exil-Kubaner in manchen Songs schwer zu leugnen: Zappel-Philipp-Soul!

Neben den vielen unbekannten hier kompilierten Künstlern, bestechen jene, die zumindest einem einschlägig interessierten Publikum bekannt sein dürften: Timmy Thomas, eine Art Money Mark der 70er-Jahre, beweist im Manifest Funky Me mit kurzen Orgelstößen seine Originalität. Gwen McCrae, die Frau des ebenfalls vertretenen George, führt den Einfluss, den ihre Musik auf Nachgeborene wie die Stereo MCs oder La Funk Mob hat, mit 90% Of Me Is You deutlich vor. Clarence Reid, der später mit seinem Schweinepriester-Alter-Ego Blowfly abwegige Musikgeschichte geschrieben hat, zeigt, dass es für ihn ein Leben vor und ohne Four-Letter-Words gegeben hat. Schlichte Balzlaute wie in Cadillac Annie tun es auch.

Der Sampler Miami Sound belegt deutlich, dass im Altersheim der USA der Sound in den "good old days" deutlich besser war als heute: "That's the way - ah ha ah ha - I like it!" (DER STANDARD, Printausgabe, 4.4.2003)