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Der sudanesische Präsident Omar al-Bashir im März bei einer Rede in der norddarfurischen Hauptstadt al-Fasher.

Foto: Reuters/Bensemra
Graphik: STANDARD

Im Jänner 2011 wird den Südsudanesen in einem Referendum die Frage gestellt, ob sie die Loslösung vom Norden wollen - Würden sie heute abstimmen, wäre der Sudan Geschichte. Wie die Parteien das Jahr bis zum Stichtag nützen, versuchte Gudrun Harrer in Khartum, Juba und Nyala zu ergründen.

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Streit und Versöhnung wechseln in Khartum einander zurzeit im Wochenrhythmus ab: Die nordsudanesische Regimepartei NCP (National Congress Party) und die den Südsudan regierende SPLM (Sudanese Peoples' Liberation Movement) feilschen um die Modalitäten des im Jänner 2011 vorgesehenen Unabhängigkeitsreferendums für den Süden. Dabei geht es um nichts weniger als den möglichen Zerfall des Sudan, des größten Landes Afrikas.

Die Fragen, die sich Beobachter stellen: Wird der Norden den Verlust des ölreichen Südens wirklich hinnehmen, der auch ein großes politisches Stigma für die NCP bedeutet? Werden die verfeindeten Gruppen im Süden nicht sofort um die Macht im neuen Staat kämpfen, werden sich die Nachbarn einmischen? Und könnte der Zerfall des Sudan einen Dominoeffekt in ganz Afrika hervorrufen? Und natürlich auch: Wird der neue Staat die (Militär-)Basis der Amerikaner in Afrika werden?

Am Montag meldeten NCP und SPLM jedenfalls wieder einmal eine Einigung: Die Frage, ob auch die im Norden ansässigen Südsudanesen - die naturgemäß eher für einen geeinten Sudan als eine Sezession des Südens sein werden - mitstimmen dürfen, wurde mit Ja beantwortet. Über deren Anzahl streitet man sich jedoch weiter.

Aber auch über die Zahl der Südsudanesen im Süden gibt es Uneinigkeit: Die SPLM hat dort zwar die Volkszählung selbst durchgeführt und deren Ergebnisse - die 20 Prozent der sudanesischen Bevölkerung im Süden angesiedelt sehen, nicht die vorher angenommenen 28 Prozent - auch anerkannt, diese Anerkennung jedoch später zurückgezogen. Denn eine geringere Anzahl von Südsudanesen würde weniger Südprovinzenmandate im Parlament in Khartum bedeuten, das im April 2010 gewählt wird.

Fahrplan zum Referendum

Es sind weitere haarige Probleme offen, etwa das neue Sicherheitsgesetz, die Regeln für ein Referendum in Abyei und "Konsultationen" in Südkordofan und Blue Nile. Die Erfüllung all dieser Punkte wie auch die Abhaltung der Wahlen auf allen Ebenen ist vom zwischen NCP und SPLM 2005 abgeschlossenen CPA (Comprehensive Peace Agreement) vorgeschrieben, dessen Höhepunkt das Referendum sein wird.

Wobei das Schicksal des Sudan von einem sehr kleinen Bevölkerungsanteil bestimmt werden wird: Wenn im Jänner 2011 bei einer Wahlbeteiligung von 60 Prozent der wahlberechtigten Südsudanesen nur 50 plus 1 für die Unabhängigkeit stimmen, dann darf der Süden gehen.

Das große strategische Ziel heißt weiter "Einheit" - aber dem Norden dämmert es langsam, dass man sich mit Trennungsszenarien auseinandersetzen sollte. Übergangsmodalitäten müssten erarbeitet werden. Die Vorbereitungen scheinen sich jedoch noch eher auf das Bekenntnis zu beschränkten, dass man keinen Krieg mehr will und dass die beiden Staaten friedlich nebeneinander leben und miteinander kooperieren würden. Das sagt auch die SPLM. Der Süden hat das Öl, die Pipeline führt in den Norden - solange keine andere gebaut wird.

Aber zuerst kommt die Herausforderung der Wahlen (siehe Wissen) - wobei ihre Nähe zum Referendum nicht unproblematisch ist. Während die SPLM laut CPA eigentlich für die Einheit des Sudan arbeiten müsste, tritt sie - mangels anderer Argumente - bei den Wahlen mit Unabhängigkeitsslogans an. Die SPLM verliert an Terrain, deshalb will sie die Wahlen nicht. Aber die NCP will sich mit den Wahlen für die nächsten Jahre legitimieren. "Die SPLM muss dem Norden die Wahlen geben, und die NCP dem Süden das Referendum" , formuliert es ein Uno-Beamter.

Die Wählerregistrierung ist jedenfalls bereits abgeschlossen. Und obwohl verschiedentlich NCP-Tricksereien kritisiert wurden, haben die Ergebnisse dem US-Sondergesandten Scott Gration - der nicht immer der offiziellen US-Linie zu folgen scheint und dafür in Khartum verehrt wird - sogar das Wort "exzellent" entlockt. 15 Millionen Wähler wurden registriert. Die Wahl des Leiters der Wahlkommission (NEC), Abil Alier, eines Christen aus dem Süden, wird sogar von Kritikern Khartums als "die beste" bezeichnet.

Glaubwürdiger Wahlchef

Die Probleme, die die NEC jedoch noch lösen muss - etwa die Zuständigkeit von Nomaden, oder wie Flüchtlinge in Darfur wählen, die sich in Lagern registrieren ließen, aber eigentlich lieber zu Hause wählen wollen - sind eine monumentale Aufgabe. Den Streit über den Zensus wird man wohl beilegen, indem man zur Berechnung der Provinzmandate die Wählerregistrierungen heranzieht. Denn auch andere Südler meinen, dass die Zensuszahlen zu niedrig sind: Allerdings werfen sie allein der SPLM vor, geschlampt zu haben.

Trotz aller Streitereien und Probleme werden in der letzten Zeit die Stimmen leiser, die eine Verschiebung zumindest der legislativen Wahlen vorschlugen. Der Zug ist abgefahren, die Wahlen werden stattfinden, sagt auch der Chef der Kommunistischen Partei, Mohammed Nugud.

Die Politiker der alten Parteien - etwa der Umma des letzten demokratisch gewählten sudanesischen Premiers al-Sadiq al-Mahdi - geben sich ihr Abschneiden betreffend optimistisch, wenn sie nicht gerade mit einem Boykott liebäugeln. Ihre wahre Stärke weiß niemand. Ein regierungsnaher Gesprächspartner spricht die Sorge vor einem iranischen Szenario an: Wenn Präsident Omar al-Bashir die Wahlen wieder gewinnt, könnte die Opposition ja mithilfe des Auslands "Fälschung" schreien!

Bashir wird gewinnen

An Bashirs Wahlsieg zweifelt jedoch niemand ernsthaft, der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) wegen Kriegsverbrechen in Darfur hat dazu eher noch beigetragen. Wie man mit einem Präsidenten umgeht, gegen den ein Haftbefehl vorliegt? Bashir ist schon früher nicht viel gereist, sagt ein Minister vage. Gerade tobt zwischen Frankreich und Ägypten der Streit wegen Bashirs möglicher Präsenz beim afrikanisch-französischen Gipfel in Kairo. Weder die Afrikanische Union noch die Arabische Liga nehmen den ICC-Spruch zur Kenntnis, aber auch hier ansässige Internationale haben wenig dafür übrig: Die internationale Gemeinschaft habe damit ihre Karten in die Luft geworfen.

Ein möglicher Weg aus dem Dilemma scheint sich für Khartum im Bericht einer vom südafrikanischen Expräsidenten Thabo Mbeki geleiteten Darfur-Kommission der Afrikanischen Union aufzutun. Er enthält genaue Empfehlungen für den Weg zu Versöhnung und Gerechtigkeit und ein Modell für "Hybrid-Gerichtshöfe" , sudanesische Gerichtshöfe mit internationaler Beteiligung, die vielleicht auch der Uno-Sicherheitsrat akzeptieren könnte. Bei Nachfrage äußern sich Regimemitglieder prinzipiell positiv - dennoch ist es fraglich, ob Khartum alle Details schlucken wird. Bashir selbst sagt zu Besuchern aus Österreich dazu: "Nach Frieden und Versöhnung der Gruppen in Darfur kommt die Gerechtigkeit. Und niemand wird über dem Gesetz stehen." Was immer das heißen mag. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.12.2009)