Magenprobleme quälten Gregor Schlierenzauer zum Auftakt der Vierschanzentournee in Oberstdorf, wo sich das gestrige Springen über den Blattschluss hinaus verzögerte. Immerhin konnte der Tiroler aber ganz ohne Bauchweh bei Sepp Gratzer vorstellig werden, dem Wächter über das Regelwerk, der nach jedem Sprung kontrolliert, ob die Athleten das nötige Gewicht für ihre Skilänge mitbringen. "Bisher gab es keine Beanstandungen", sagt der Kärntner, der jedoch festgestellt hat, dass die vorgegebenen Grenzen heuer besonders konsequent ausgereizt werden. "Der Spielraum, den sich die Athleten lassen, hat sich halbiert. Von drei bis vier auf eineinhalb bis zwei Kilogramm im Schnitt."

Es darf also wieder weniger sein in der Skispringerei, auch weniger als der den Sportlern anempfohlene Body-Mass-Index von brutto 20 (mit Anzug und Sprungstiefeln). Der ermöglicht es dem 1,80 Meter großen und 64,8 Kilogramm schweren Idealathleten, Ski mit der maximalen Länge von 2,63 Metern (146 Prozent der Körpergröße) mit hinauf auf den Sprungturm zu nehmen.

Daran, dass etliche Springer lieber getreu der Maxime, dass jener weiter springt, der weniger wiegt, konsequent auf Sparflamme leben, konnte die als Imagekorrektur gedachte Einführung des BMI zur Saison 2004/05 nichts ändern. Jedes fehlende Kilo wird mit zwei Zentimetern Skilänge bezahlt. In der Theorie geht es da wie dort um 2,5 Meter an Weite, weshalb es quasi gehupft wie gesprungen wäre, ein wenig mehr auf den Rippen zu haben.

Allerdings gibt es nicht wenige im Tournee-Feld, die dem geringeren Gewicht auf Kosten der Skilänge den Vorzug geben. Zwar will keiner sein tatsächliches Gewicht verraten - dass es sich auch mit kürzeren Skiern ganz gut fliegen lässt, beweist angeblich nicht zuletzt Klassenprimus Schlierenzauer. Der macht Materialchef Gratzer aber keine Sorgen. Seine Patienten sind eher in Norwegen, aber auch in Finnland daheim.

Der Hungerkünstler

Dass der älteste Finne, Janne Ahonen, durch Passagen in seiner Biografie das Thema in Oberstdorf wieder aufs Tapet brachte, findet Fis-Rennsportdirektor Walter Hofer ein wenig ungerecht. Ahonen schildert, dass er etliche Wochen mit nur 200 Kalorien am Tag lebte, um wieder auf jenes Gewicht zu kommen, das Mitspringen beim Comeback erlaubt.

Hofer verweist gerne darauf, dass Ahonen unmittelbar vor und nach Einführung des BMI zweimal en suite den Weltcup für sich entschieden hat. Und überhaupt sei bereits im Reglement für 2010/11 eine Anhebung des BMI auf 20,5 mit gleichzeitiger Senkung der Skilänge auf maximal 143 Prozent der Größe verankert.

Nicht zuletzt die Österreicher finden diesen Schritt zu zaghaft und hätten ihn gerne vor der aktuellen Saison getan gesehen. Bei der diesbezüglichen Abstimmung im Sprunglaufkomitee hatten sich Befürworter und Gegner die Waage gehalten, also entschied der finnische Vorsitzende gegen eine sofortige Anhebung des BMI. Verbandstaktisches Verhalten nennt das Hofer. Welcher Finne, welcher Norweger würde schon gerne ausrechnet auf dem Weg zu olympischen Ehren in Vancouver mit Bauchweh vor Herrn Gratzer erscheinen? (Sigi Lützow - DER STANDARD PRINTAUSGABE 30.12. 2009)