Ausschnitt aus einer Twitter-Liste  unter dem Stichwort "IranElections" am Montag.

Screenshot: STANDARD

Im Fünf-Sekunden-Rhythmus purzeln die Mitteilungen über das Massensystem Twitter. Unter dem Stichwort "Iran" oder "IranElections" melden sich nach den blutigsten Protesten seit der Präsidentschaftswahl im vergangenen Sommer Tausende zu Wort.

"Oculusnonvidit", laut Kurzbeschreibung ein Iraner aus Teheran, der unter Pseudonym "twittert", ist zum Beispiel eine der Nachrichtenquellen, die mit Hilfe des Massenmailsystems die Zensur der iranischen Behörden umgehen und auf Englisch über die derzeitige Lage im Land berichten: "Viele Leute in Teheran gingen heute nicht zur Arbeit", schreibt er am Montag, "die ganze Stadt steht noch unter Schock von gestern", heißt es ein paar Minuten vorher.

"Zusammenstöße heute morgen vor dem Ebnsina-Spital, Pfefferspray und Straßenkämpfe", meldet "oculusnonvidit" auch. In diesem Krankenhaus starb offenbar der Neffe des Oppositionsführers und unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir-Hossein Mussavi am Sonntag.

Das Pseudonym dieses Twitter-Scheibers ist bewusst vieldeutig und ironisch. Das Auge (lateinisch "oculus") der iranischen Behörden kann ihn nicht sehen, mag der Name bedeuten oder aber: Das Auge des Schreibers sieht nicht wirklich, was geschieht. Denn "Twittern" ist sehr oft auch nur Weitergeben von Gehörtem oder Gelesenem.

Gesteuerte Mails

Twitter-Schreiber mahnen sich nach der Eskalation in Teheran deshalb auch wieder gegenseitig. Verschwörungstheorien, aber auch ernst zu nehmende Einwürfe machen die Runde: Die iranischen Behörden ebenso wie CIA-Mitarbeiter schreiben "Tweets" und versuchen, die Öffentlichkeit in ihrem Sinn über die Vorgänge im Iran zu beeinflussen, heißt es.

Das Mailsystem "Twitter" hat nach Schätzungen von Internetexperten dieses Jahr einen explosionsartigen Zuwachs erlebt: von zwei bis vier Millionen Benutzern zu Jahresbeginn auf rund 40 Millionen im Dezember. (mab/DER STANDARD, Printausgabe, 29.12.2009)