"Wir wissen es auch nicht besser - aber wir sind da": Schwester Lucia, eine von 150 Mitarbeitern der Wiener Telefonseelsorge

Foto: DER STANDARD/Regine Hendrich

Wien - Paula B. strahlt. Denn manchmal, sagt die Ordinationshilfe aus Wien, gibt es Momente, in denen man nicht bloß weiß, sondern hört, dass das, was man tut, sinnvoll ist. Etwa dann, wenn eine unbekannte Stimme sich einfach nur bedanken will. Dafür, dass Paula B. auch heute da ist. Obwohl es ihr, der Anruferin, heute gar nicht schlecht gehe. "Die Frau", erzählt Paula B., "dürfte alleine sein. Sie hat Angst, dass der Weihnachtsabend deshalb schlimm wird. Die Sicherheit, dass wir da sind, gibt ihr Kraft - und auch darum geht es."

Es ist der 24. Dezember. Knapp nach 14.30 Uhr. Draußen, vor der Erzdiözese Wien - und in der ganzen Stadt - wurde gerade der Stecker gezogen: Der Weihnachtsendspurt ist vorbei. Geschäfte schließen. Plötzlich gehen Menschen langsam. Gesichter werden ruhig. Es wird still. Weihnachten eben.

Paula B. hat gerade ihren Dienst angetreten. Als Freiwillige bei der Telefonseelsorge. Bis 19 Uhr wird die Mutter von zwei Töchtern jetzt für Menschen da sein, die an der Stille zu ersticken drohen. Für Menschen, denen keiner zuhört. Sonst meist auch nicht - aber Weihnachten verstärkt diese Stille dann oft zu einem Dröhnen, das über die Grenze des schweigend sonst gerade Erträglichen geht.

Etwa für die Frau, die Angst vor dem gewalttätigen Ehemann hat. Oder für den Mann, der nach der Scheidung erstmals alleine ist. Oder für den Behinderten, den Sorgen plagen, da die pflegenden Eltern alt werden und so weiter.

Paula B. hört zu Weihnachten viele solcher Geschichten. So wie Schwester Lucia im Nebenraum. Aber wer oder was der Mensch ist, der abhebt, sobald jemand 142 wählt, spielt keine Rolle: So wie die Ordensfrau und die Ordinationshilfe sitzen in diesem Augenblick Freiwillige auch in den anderen Landeshauptstädten - und hören einfach zu: Lehrer, Bankangestellte, Polizisten, Architekten und Studenten. Unbezahlt, unbekannt - und meist unbedankt.

Allein in Wien, sagt Marlies Matejka, die Leiterin der Wiener Telefonseelsorge, geben einander 150 Mitarbeiter (eher: Mitarbeiterinnen, 80 Prozent sind Frauen) den Telefonhörer in die Hand. Und zwar im Wortsinn: Die 1967 von evangelischer und katholischer Kirche gegründete Wiener Telefonseelsorge ("Wir fragen niemanden nach seinem Glauben oder seinem Bekenntnis", Matejka) ist rund um die Uhr doppelt besetzt. Es gibt sie in jedem Bundesland. Ein stiller und diskreter Staffellauf der Mitmenschlichkeit.

Von Jänner bis November 2009 wurden allein in Wien 27.000 Gespräche geführt. Mehr als 100.000-mal läutete es - aber auch bei jenen, die schweigen, sagt Matejka, dürfe man nicht gleich auflegen: "Man bekommt ein Gespür für Stille."

Manchmal braucht ein Anrufer ein paar Anläufe. Oft - vor allem, seit jeder ein Handy hat - sind es Kids, die in der Gruppe ihren Mut erproben. "Da kann keiner vernünftig reden - aber das Angebot, wieder anzurufen, wenn die Freunde nicht dabei sind, machen wir nicht von ungefähr." Und blöde Witze wegzustecken, das lernt man: Wer bei 142 abhebt, hat eine Ausbildung. Weniger im Ratschläge geben und im Weitervermitteln als im Ernstnehmen und Respektieren - und vor allem im Zuhören: "Wir wissen es auch nicht besser - aber wir sind da", beschreibt Marlies Matejka, "das ist das Gegenteil von Oberflächlichkeit."

Draußen, auf der Straße, ist es jetzt wirklich still. Dafür blinken die Anruflichter der Telefone bei Schwester Lucia und Paula B. im Stakkato. "Das hier", sagt Paula B. zwischen zwei Anrufern, "ist die andere Seite von Weihnachten. Die, auf die es ankommt." (Thomas Rottenberg/DER STANDARD, Printausgabe, 28. Dezember 2009)