Max Santner, Leiter der Internationalen Hilfe im Österreichischen Roten Kreuz: "85 bis 90 Prozent der Spendengelder sind aber bereits investiert, vorwiegend verbaut. Der Rest fließt in Konfliktbewältigung oder Katastrophenvorsorge."

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Standard: Was kommt Ihnen als Erstes in den Kopf, wenn das Wort Tsunami fällt?

Santner: Tsunami, Medien-Tsunami, Cash-Tsunami. Damit meine ich: Nach dem Tsunami haben die Medien in bei einer Katastrophe ungekanntem Ausmaß beinahe in Echtzeit berichtet. Das hat zu einer wahren Flut von staatlichen und privaten Spendengeldern geführt.

Standard: Was war und ist noch für Helfer als Erstes zu tun?

Santner: Man unterscheidet nach einer Katastrophe mehrere Phasen. Die akute Notphase heißt Leben sichern und Überleben sicherstellen. Das impliziert auch: Wie gehe ich um mit den Toten? Sie dauerte in Sri Lanka zwischen zehn und 15 Tage. Dann folgt eine Stabilisierungsphase: Da schaut man, dass die Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, Notunterkünfte bekommen und Grundbedürfnisse befriedigt werden. Die dritte Phase ist, die Zustände möglichst so herzustellen, wie sie vorher waren. In einigen Ländern hat diese Phase zwischen zwei und drei Jahre, in anderen bis zu fünf Jahre gedauert.

Standard: Arbeitet das Rote Kreuz vor Ort noch an mit dem Tsunami zusammenhängenden Projekten?

Santner: Vielleicht ist noch das ein oder andere Hausbauprojekt am Fertigwerden. 85 bis 90 Prozent der Gelder sind aber bereits investiert, vorwiegend verbaut. Der Rest fließt in Konfliktbewältigung oder Katastrophenvorsorge.

Standard: Sie waren nach der Katastrophe zwei Jahre vor Ort. Wie verarbeitet man das?

Santner: Das klingt jetzt abgebrüht, aber es ist ,part of the game'. Du hast ein Ziel, das heißt Projektaufbau, du weißt, dass das für einen guten Zweck ist, du wickelst es ab und dann kommst Du wieder heim. Das ist nichts Spektakuläres.

Standard: Haben Sie oder Kollegen den Tsunami nicht als spezifisches Ereignis erlebt?

Santner: Nein, aber was spezifisch war: Wir denken immer noch an das Tsunami-Ereignis. In Sri Lanka war der Tsunami sehr bald raus aus den Köpfen der Leute. Das alles überlagernde Thema war nach wenigen Monaten der Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen. Vor dem Tsunami war eigentlich Waffenstillstand. Der Konflikt ist aber sehr stark durch Spendengelder wieder entbrannt und es ist kurz danach zum Krieg gekommen.

Standard: Wie haben sich die Spenden sonst ausgewirkt?

Santner: Es ist einiges an Schwachsinnigkeiten entstanden - Häuser, die nicht den örtlichen Gegebenheiten entsprechen. Aber durch die Investitionen ist für viele Regionen die Lebensqualität gestiegen. So ist die Wirtschaftleistung jetzt ungefähr auf dem gleichen Level wie vor dem Tsunami. (Gudrun Springer, DER STANDARD Printausgabe, 24./25./26./27.12.2009)