Kruzifix-Klagen sieht der Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari gelassen entgegen. Möglicherweise auch, weil der Geistliche plant, den inneren "Mönch" zu wecken und in Pension zu gehen.

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DER STANDARD: Die Schweizer haben sich mehrheitlich gegen den Bau neuer Moscheen ausgesprochen. Beunruhigt Sie dieses Votum?

Kapellari: Ich glaube, es war keine Abstimmung gegen Minarette, sondern eine Abstimmung aus dem Bauch heraus - aus der Angst vor einem Kulturbruch. Die Gelegenheit, diese Angst nicht im öffentlichen Diskurs besprechen zu müssen - weil manche überfordert waren oder sich von einem Teil der öffentlichen Meinung niedergeredet gefühlt haben - war in der Wahlzelle gegeben. Und da kommt dann das zurück, was im öffentlichen Diskurs nicht aufgearbeitet worden ist.

DER STANDARD: Heißt, Sie verstehen die Entscheidung der Eidgenossen?

Kapellari: Natürlich begrüße ich das Ergebnis nicht. Im Gegenteil, ich verurteile es. Aber es wäre zu kurz gedacht, am Ergebnis allein hängenzubleiben. Man muss versuchen, was dahinter steht in den Blick zu nehmen und eine Aufarbeitung in Gang zu bringen.

DER STANDARD: Sie haben sich rund um einen geplanten Moschee-Bau in Graz gegen "städtebaulich dominante" Moscheen ausgesprochen. Ab wann beginnt jetzt "dominant" für Sie - wenn das Minarett plötzlich höher als der Kirchturm ist?

Kapellari: Hochrangige Politiker, Journalisten und Kirchenführer, auch evangelische, die niemand des Populismus verdächtigen kann, haben Ähnliches gesagt. Es geht hier zuletzt nicht um Statussymbole, sondern um den sozialen Frieden in einer westlichen Gesellschaft. Dort haben viele Menschen vor manchen Ausprägungen des Islam in von ihm dominierten Ländern Angst.

DER STANDARD: Führt man mit der Argumentation ‚Wir machen das, was islamische Länder mit uns machen‘ nicht eine freiheitliche Denkordnung, die ein friedliches Nebeneinander verschiedener Religionen garantiert, ad absurdum?

Kapellari: Religionsfreiheit für Christen in islamischen Ländern darf keine Bedingung für Religionsfreiheit der Muslime in Westeuropa sein. Es muss aber möglich sein, die unterschiedlichen islamischen Gemeinschaften in Europa immer wieder einzuladen, sie mögen für religiöse Toleranz in ihren Herkunftsländern verstärkt eintreten - etwa in der Türkei.

DER STANDARD: Birgt das Verdrängen der Religion in die Hinterhöfe nicht auch eine gewisse Gefahr?

Kapellari: Ja. Der Islam hat natürlich im Rahmen der Gesetze das Recht auf öffentliche Präsenz - auch betreffend seiner Bauwerke. Aber eine neu etablierte Religion und ihre Kultur haben auch eine Bringschuld betreffend das Gespräch mit der angestammten Bevölkerung, wenn Konflikte zum Schaden aller ausbleiben sollen.

DER STANDARD:  Vonseiten der Grünen wurde jüngst ein Burkaverbot in Österreich gefordert. Für Sie vorstellbar?

Kapellari: Ich bin für große Liberalität, was religiös geprägte Kleidung betrifft. Eine Ganzkörperverschleierung halte ich aber für eine Gefährdung des sozialen Friedens, weil sie als ein Symbol für Kommunikationsverweigerung empfunden werden könnte.

Standard: Was muss passieren, um den Menschen die Angst vor dem Islam zu nehmen?

Kapellari: Es muss mehr Begegnung von beiden Seiten geben. Diesbezüglich gibt es bisher vor allem Einbahnstraßen und das genügt nicht.

Standard: Die FPÖ ist mit dem Kreuz in der Hand in den EU-Wahlkampf gezogen. Wie beurteilen Sie diese "Politisierung" der Religion?

Kapellari: Das ist sicher zu verurteilen. Politik verträgt Auseinandersetzungen und auch Polemik. Aber es gibt Grenzen. Für uns Christen ist das Kreuz ein religiöses Symbol, an dem Christus verblutet ist. Das Kreuz darf nicht wieder, wie leider schon oft in der Vergangenheit, als Waffe missbraucht werden.

DER STANDARD: In Niederösterreich hat ein Vater jetzt Klage gegen Kruzifixe im Klassenzimmer eingebracht. Droht dem Kreuz künftig mehr "Privatsphäre" ?

Kapellari:  Wahrscheinlich wird es noch mehr Klagen geben. Aber unsere Gesellschaft wird sich im Ganzen das Kreuz im öffentlichen Raum nicht nehmen lassen, weil es ein Zentralsymbol einer europäischen Leitkultur geworden ist und so auch für Nichtglaubende Bedeutung hat. Paradox ist übrigens, dass oft jene Menschen, die das Kreuz verdrängen wollen, Minarette bejahen.

DER STANDARD: Verfassungsrechtler sehen darin die Trennung von Kirche und Staat verletzt.

Kapellari: Trennung heißt nicht Beziehungslosigkeit, nicht einmal in Frankreich. Die Zivilgesellschaft würde großen Schaden nehmen, wenn der soziale Kitt und die Orientierung gebende Kraft der Kirchen hier nicht millionenfach präsent blieben.

DER STANDARD: Wie politisch muss, oder besser, darf Kirche heutzutage sein?

Kapellari: Manche Gruppen, die nicht zur Kirche gehören, wünschen sich eine Kirche, die im Sinn ihrer politischen Werte etwa bei der Weltklimadebatte überaus dynamisch agiert. Für sie ist die Kirche bald einmal zu leise. Doch wenn die Kirche anfängt, sich etwa für das ungeborene Leben einzusetzen, sagen dieselben Leute dann schnell, die Kirche soll sich nicht einmischen.

DER STANDARD: Entspricht die gegenwärtige Asylpolitik Ihrer Meinung nach den kirchlichen Grundsätzen der Barmherzigkeit?

Kapellari: Gerade im kirchlichen Bereich leisten wir ein stets sehr hohes Maß an gelungener Integrationsarbeit, etwa durch die Caritas und die Pfarren. Ungemein viel bleibt aber noch zu tun. Migration ist und bleibt ein Faktum. Um praktikable Rahmenbedingungen muss ohne egoistische Tabus gerungen werden.

DER STANDARD: Gelingt es der Kirche heute noch in ausreichendem Maß, den Menschen den religiösen Hintergrund von Weihnachten zu vermitteln?

Kapellari: Weihnachten ist ein starkes Fest und übersteht auch alle Oberflächlichkeiten und allen Kitsch, die man ihm antut. Weihnachten sagt, dass Gott nicht nur allmächtig ist als Schöpfer des Kosmos, sondern dass er auch Liebe ist. Und Liebe ist verletzbar wie das Kind von Bethlehem und zuletzt aber doch stärker als Herodes und Pilatus.

DER STANDARD: Apropos Nächstenliebe. Der evangelische Bischof Bünker beklagt unter dem jetzigen Papst einen Stillstand der Ökumene. Bleibt man von katholischer Seite lieber unter sich?

Kapellari: Das glaube ich nicht. Wir waren zwar sicher schon schneller unterwegs als jetzt, aber Katholiken, Protestanten und Orthodoxe bringen in die Ökumene legitime Sorgen um die je eigene Identität mit. Nur eine oberflächliche Betrachtung kann das als entbehrlich empfinden.

DER STANDARD: Sie werden im Jänner 74 und müssen laut Kirchenrecht in absehbarer Zeit um ihre Pensionierung ansuchen. Haben Sie sich mit dem Gedanken, leiser zu treten, schon angefreundet?

Kapellari: Ich werde zu Ende 2010 entsprechend dem Kirchenrecht um Emeritierung ersuchen und hoffe, dass dies auch angenommen wird. Nach fast dreißig Jahren bischöflichen Dienstes werde ich dann mehr Zeit für den Mönch in mir haben, um ein Buch von Heinz Nußbaumer zu zitieren. (Markus Rohrhofer/DER STANDARD-Printausgabe, 24. Dezember 2009)