Der Honig stammt direkt aus dem Big Apple: der Markt am Grand Army Plaza in Brooklyn.

Foto: STANDARD/Uerlings

Es ist als habe der Wetterheilige Petrus höchst persönlich nachgetreten. Ein ungemütlicher Winter-samstag im New Yorker Stadtviertel Brooklyn. Aber Todd ist hart gesotten. Der 34-Jährige steht am Grand Army Plaza Wochenmarkt und telefoniert mit seiner Frau: Geht vielleicht auch Broccoli statt Salat? Todd kauft ausschließlich lokale Erzeugnisse, und die gibt es nun mal nicht immer. Lebensmittel aus der Nachbarschaft, meint er, seien besser für die Umwelt, weil keine langen Transportwege anfallen. Lebensmittel aus der Nachbarschaft mitten in Brooklyn?

New York und seine Umgebung gehören nicht zu den Orten, bei denen man zuerst an eine funktionierende Landwirtschaft denken würde: 5571 Hochhäuser, auf den insgesamt 10.200 Kilometer langen Straßen fahren 12.000 Taxis und 4000 Busse. Und doch erlebt ausgerechnet diese Masse aus Beton, Glas und Stahl derzeit einen wahren Landwirtschaftsboom.

Wildkräuter aus dem Central Park

Es gibt Honig von Bienen, deren Körbe auf den Dächern der Wolkenkratzer stehen, Gurken und Tomaten aus Hinterhofzucht, Wildkräuter aus dem Central Park und Käse aus dem Umland. Im Zentrum des Ganzen steht eine lose zusammenhängende Bewegung, die sich "Locavores" nennt, auf Deutsch: "Nahesser" . Ihre Anhänger ernähren sich nur von Produkten, die im Umkreis von 200 Meilen produziert werden. Janett kommt jeden Samstag zum Grand Army Plaza in Brooklyn einkaufen - auch der Mitmenschen wegen: "Ich will unseren Farmern eine Chance geben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen" , sagt sie.

Der beliebteste Stand am Grand Army Plaza heißt Blue Moon. Gabriella verkauft dort Barsche, Kabeljau und Austern aus dem nahegelegenen Long Island. Wenn die Fischersfrau nicht hinter dem Marktstand steht, fährt sie mit dem Kutter aus. Der Job ist ihr Leben. "Wir sind wie eine große Familie", sagt sie.

Andere Marktverkäufer nutzen den Locavores-Trend, um zu expandieren. Bryan, ein Imker aus dem Nachbarstaat New Jersey bietet jetzt auch den Honig seiner gleichgesinnten Kollegen aus Manhattan an. Eine Frage der Vielfalt: "Der New Yorker Honig zeichnet sich dadurch aus, dass er zugleich ungewöhnlich herb und süß ist" , erklärt Bryan, "das fehlte in meinem Sortiment".

Landfläche in der Größe Virginias

Lokales Essen für eine globale Stadt? James McWilliams geht nicht zum Grand Army Plaza, er sitzt lieber im warmen Café. Der Buchautor weiß, dass es nie möglich sein wird, alle acht Millionen New Yorker mit Lebensmitteln aus der Nachbarschaft zu versorgen. Dafür gibt es einfach nicht genug Landwirtschaftsflächen. Dreiviertel aller Lebensmittel in Big Apple werden eingeflogen.

Um den Ernährungsbedarf der Stadtbevölkerung zu sichern, bedarf es einer freien Landmasse, die den ganzen US-Bundesstaat Virginia einnimmt. Außerdem hilft der Lokaltrend der Umwelt womöglich weit weniger, als viele glauben möchten. McWilliams behauptet, dass der Lebensmittel-Transport gerademal für zehn Prozent der Schäden verantwortlich zeichnet. Seine Alternativempfehlung an die Amerikaner, die pro Person 275 Pfund Fleisch im Jahr verzehren: "Wenn jeder von uns nur einmal in der Woche darauf verzichten würde, dann hätte das ökologisch gesehen genau denselben Effekt, als wenn wir alle Locavores wären" .

Und doch: Beim Lokal-Trend macht sogar die Stadtverwaltung mit. Bürgermeister Michael Bloomberg, dem ein Öko-New-York vorschwebt, will es so. Auf seinen Ansporn ist es zurückzuführen, dass es in der Megalopolis mittlerweile 50 Wochenmärkte mit Nachbarschaftsprodukten gibt. Alexis Stevens arbeitet für die Umweltbehörde und leitet den Informationsstand am Grand Army Plaza. "Wir schauen uns jede Farm vor Ort an, um sicherzustellen, dass die Verkäufer wirklich ihr eigenes Gemüse anbauen", versichert sie.

Bargeld oder anschreiben lassen

Auch für Maggy ist der Trend nicht mehr zu wegzudenken. Die Soziologin findet, dass es hipp ist, in New York ein Locavore zu sein. Und sie ist bereit, dafür tief in die Tasche zu greifen, denn sie weiß: "Relativ gesehen geben wir Amerikaner heute weniger Geld für Essen aus als in den 50er Jahren, wo es noch keine 99 Cents Hamburger und dergleichen gab". Viele rezessionsgeprüfte New Yorker können sich aber trotzdem keine Lebensmittel von lokalen Farmern leisten.

Laurent Danthine, ein gebürtiger Belgier, verkauft Schweinshachse und Entenbrust, die drei Mal teurer sind als im Supermarkt. Nur am Grand Army Plaza im schicken Brooklyn wird er seine Ware noch los. Im Künstlerviertel Greenpoint ist der Absatz um die Hälfte eingebrochen. Der Farmer weigert sich aber standhaft, Subventionen anzunehmen, denn, sonst "bin ich ja nicht besser als die Massenproduzenten, die nur dank der Regierungsgelder so billig verkaufen können". Auch von Kreditkarten hält Laurent nicht viel. Wer kein Bargeld dabei hat, kann bei ihm anschreiben lassen. Der Geschäftsmann weiß nur allzu gut: Seine Kunden sind ebenso lokal verbunden wie ihre Lebensmittel - säumige Zahler entkommen nicht.  (Beatrice Uerlings aus New York, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25./26./27.12.2009)