Das Auswärtige Amt hatte schon am 4. September, also am Tag nach dem nächtlichen Luftangriff bei Kundus, konkrete Hinweise auf zivile Opfer. Das geht laut ARD (Verbund öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten in Deutschland) aus einem vertraulichen Gesprächsprotokoll des Wiederaufbauteams Kundus hervor, das dem Bericht aus Berlin vorliegt.

Demnach habe am 4. September eine Besprechung mit dem Titel "Informationszusammenfassung CAS" (Close Air Support - Luftnahunterstützung) stattgefunden. Anwesend sei bei dieser auch Burkhard Ducoffre, Vertreter des Auswärtigen Amtes im Wiederaufbauteam in Kundus, gewesen. Besprochen worden seien unter anderem Informationen, die deutsche Soldaten durch Gespräche vor Ort gewonnen hätten. Demnach gäbe es konkrete Hinweise auf sieben verwundete und 14 getötete Zivilisten. Ducoffre hat dies nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios auch in zwei Berichten nach Berlin gemeldet. Bislang hatte der heutige SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende und damalige Außenminister Steinmeier stets betont, lange Zeit nur unklare Informationen über zivile Opfer gehabt zu haben.

Steinmeier droht ein Bumerang

"Steinmeier droht ein Bumerang" schreibt die Süddeutsche Zeitung (SZ). Denn Steinmeier ist im Fall des Luftangriffs von Kundus nicht nur SPD-Fraktionschef, sondern auch Ex-Außenminister - und trage daher als solcher neben dem Verteidigungsminister für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan eine besondere politische Verantwortung.

"Als die Affäre sich immer mehr in die Länge zog und in der SPD die Hoffnung wuchs, nach dem früheren Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) auch den aktuellen Ressortchef Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) über den folgenschweren Luftangriff nahe Kundus stolpern zu lassen, da wurde Steinmeier mutiger", schreibt die SZ. Er mahnte in der Bild am Sonntag eine "restlose Aufklärung" des Falls an und fragte in der Welt am Sonntag, was das Kanzleramt wann wusste. Nun komme aber etwas ans Licht, was sein eigenes damaliges Haus, das Außenministerium, betreffen könne.

Drei Viertel der Deutschen lehnen Guttenberg-Rücktritt ab

Trotz der Affäre um den Luftangriff von Kunduz genießt der deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg einer Umfrage zufolge großen Rückhalt in der Bevölkerung. 75 Prozent der Befragten erklärten in einer Forsa-Umfrage für den "Stern", der CSU-Politiker solle nicht zurücktreten. Nur 14 Prozent sprachen sich dafür aus. Sogar 71 Prozent der SPD- und 81 Prozent der Grünen-Wähler lehnen einen Guttenberg-Rücktritt ab, wie der "Stern" am Montag meldete.

Westerwelle will Sonderstaatsanwaltschaft für Auslandseinsätze

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hat unterdessen die Bildung einer Sonderstaatsanwaltschaft für die Auslandseinsätze der Bundeswehr gefordert. Der FDP-Politiker sagte gegenüber der "Saarbrücker Zeitung": "Wir haben das im Koalitionsvertrag vereinbart und sollten das jetzt sehr schnell umsetzen." Damit werde die Rechtssicherheit für die Soldaten erhöht.

Zu Forderungen der USA, das Bundeswehrkontingent in Afghanistan weiter zu erhöhen, äußerte sich Westerwelle skeptisch. Er verwies darauf, dass die Obergrenze gerade erst von 3.500 auf 4.500 Soldaten angehoben wurde. Militär könne den zivilen Aufbau nicht ersetzen. "Wenn die Afghanistan-Konferenz Ende Jänner eine reine Truppenstellerkonferenz werden würde, bräuchte man nicht hinzufahren", sagte Westerwelle. Es müsse dort vielmehr um einen "breiten politischen Ansatz" gehen. Deutschland sei bereit, beim zivilen Aufbau, insbesondere bei der Ausbildung der Polizei mehr zu tun. (red/APA, derStandard.at, 21.12.2009)