Entmystifizierter Fetisch Schuh - hochhackig oder einfach nicht zum darin Laufen gemacht. Birgit Jürgenssen: Ohne Titel, 1976

Foto: Sammlung Verbund

Wien - "Birgit Jürgenssen ist nicht im Gleichschritt mit der feministischen Avantgarde gelaufen". Hubert Winter, Galerist, Nachlassverwalter und zuletzt Lebensgefährte der 2003 an Krebs gestorbenen Birgit Jürgenssen betont, dass die Künstlerin stets dementiert hat, eine Feministin zu sein. Optisch sei sie die Antithese zu vielen Feministinnen der 1970er gewesen; sie liebte Mode, hohe Schuhe, Nagellack und Lippenstift: "Von einer rigiden Form des Feminismus hat sie ziemlich Abstand gehalten."

"Mit Humor und Eleganz subversiv gegen den feministischen Ernst!", beschreibt Ingeborg Strobl die gemeinsame Schlagrichtung der Künstlergruppe "Die Damen" (gemeinsam mit Ona B. und Evelyne Egerer), die Ende der 1980er-Jahre ihre Blüte erlebte: "Alles wurde präzise geplant und durchdacht. Wir waren ein perfektes Team."

In ihren meist subtilen und auch selbstironischen Arbeiten verwendete Jürgenssen sich selbst als Modell für die vielgestaltigen Inszenierungen des weiblichen Körpers: Haut und Gestalt dienten ihr als Projektionsflächen für die auf eine Frau gerichteten Begehrlichkeiten und Erwartungen.

Generell sei sie eine sehr zurückhaltende Person gewesen, erzählt Winter. Eine sehr offensive künstlerisch-feministische Haltung, wie sie Ende der 1960er- und 1970er-Jahre Valie Export vertrat, sei nicht das Ihre gewesen. Beide schätzten sich. Export zeigte eine von Jürgenssens brachialeren Arbeiten, die Hausfrauen-Küchenschürze (ein massiver Herd mit Brot im Rohr oder "Braten im Ofen") 1975 in ihrer Wiener Schau Magna - Feminismus: Kunst und Kreativität in der Galerie nächst St. Stephan: Ein Meilenstein für damals noch sehr marginalisierte weibliche Kunstpositionen.

Jürgenssens Form eines sehr individuellen Feminismus würde nun völlig neu gesehen und positiv bewertet, sagt Winter im Rückblick auf das Jürgenssen-Symposium, das vergangene Woche an der Wiener Akademie stattfand.

Keine Verwechslungen mehr

"Dass unter Arbeiten von Birgit Jürgenssen ,Cindy Sherman' steht, das soll nun aufhören", erklärt Gabriele Schor, Direktorin der Sammlung Verbund. Unter dem Motto "Tiefe statt Breite" hat der Verbund nur 42 Werke für die Sammlung angekauft und das Geld lieber - nicht ganz uneigennützig - in die wissenschaftliche Aufarbeitung gesteckt: Diese ist 296 Seiten stark, beim renommierten Kunstverlag Hatje Cantz erschienen und hat obendrein mit der amerikanischen Kunstprofessorin Abigail Solomon-Godeau, eine Mitherausgeberin von internationalem Format gewonnen. Eine gute Investition, denn was nützen die Sammlungswerke langfristig, wenn die Arbeiten "nichts" wert sind? Die längst fällige, internationale Etablierung Jürgenssens würde sich auch wertsteigernd auf die Sammlung auswirken. Derzeit sind Zeichnungen von ihr um etwa 10.000 bis 20.000 Euro zu erwerben. Noch.

"Eine wunderbare Monografie", schwärmt Winter. Zu ihren Lebzeiten hätte es diese, ebenso wie die kleine Retrospektive am Hof, allerdings nie gegeben: "Jürgenssen wollte nie alte Dinge ausstellen. Sie sagte stets: 'Ich mache etwas Neues.'" Jürgenssens künstlerischer Output war enorm: Rund 3000 Werke umfasst ihr OEuvre. "Verstaubte riesige Rollen" hätten sie in ihrem ehemaligen Atelier hervorgezogen, erzählt Schor. Arbeiten, "die auch mir völlig unbekannt waren", staunt Huber. Die Aufarbeitung wird noch Jahre benötigen.

Die eher kleine Ausstellung am Hof verliert sich im nüchternen Firmensitz von Treppenabsatz zu Treppenabsatz etwas und büßt so auch von ihrem Zauber ein. Für erste Einblicke in ihre humorvoll-provokanten Hausfrauenzeichnungen und tiefsinnige Arbeiten des Schuhwerkzyklus reicht es. Mehr gibt es in genau einem Jahr in einer großen Retrospektive im BAKunstforum zu sehen. Hoffentlich auch nur ein Auftakt für mehr. (Anne Katrin Feßler/ DER STANDARD, Printausgabe, 18.12.2009)