Der 1996 verstorbene Jeffrey Lee Pierce (links) und The Gun Club im Jahr 1982, zur Zeit ihres Meisterwerks "Miami".

Foto: Cooking Vinyl

Christian Schachinger über seine Lieblingsband

Jeffrey Lee Pierce, der große kleine Vereinsvorsitzende des aus Los Angeles stammenden Gun Club, kam zu einer Zeit über die Musikwelt, als mit britischen Schnöselbands wie ABC, Haircut 100, Culture Club und diversen anderen gegenwärtig im Nostalgieradio wiedergehenden Popperfrisuren ein Tiefpunkt der Geschichte erreicht war.

Anfang der 1980er-Jahre sorgte das mit Kid Congo Powers als Slide- und Kreisch-Gitarristen bestens zwecks Ohrenbluten versorgte Quartett für eine Fortführung des Punk-Gedankens im Sinne des Blues. Jeffrey Lee Pierce erging sich mit schneidender Kopfstimme und einem Drang hin zum ultimativen Dringlichkeitspunkt in alten, überlebensgroßen Bildern alter knorriger Country-Blues-Musiker aus der Zeit der großen amerikanischen Depression. Und er kombinierte dies mit teilweise hochmelodischer wie tief in der Ursuppe des Rock 'n' Roll badender Musik. Diese speist sich aus Blues ebenso, wie man auf den Alben des Gun Club auch jederzeit andere Gründervätermusiken wie Country, Hardcore und immer wieder Rock 'n' Roll aus dessen bewegten Anfangstagen kennt.

Mit den jetzt drei (offiziell) wiederveröffentlichten klassischen Arbeiten der Band aus ihren besten Tagen sollen vor allem jene musikinteressierten jüngeren Generationen eine der besten Bands des ausgehenden 20. Jahrhunderts kennenlernen, die bei der Verbindung von Tradition und Moderne vor allem an Jack White und seine White Stripes denken. Das Duo aus Detroit schöpft seit zehn Jahren seinen Mehrwert aus der Wiederverwertung der alten Vorgaben von Jeffrey Lee Pierce. Pierce selbst kann das allerdings nichts mehr nutzen. Immerhin verstarb der Mann 1996 dank einer vor allem der Semiöffentlichkeit in Wirtsstuben geschuldeten Liebe zu Alkohol und Drogen während eines Besuchs am Krankenbett seines todkranken Vaters an einem Gehirnschlag.

Warum das fabelhafte Debüt der Band, das Götteralbum "Fire Of Love" von 1981, schon wieder nicht wiederveröffentlicht wurde, obwohl damit diverse nicht so gesetzestreue Plattenfirmen während der letzten Jahre gutes Geld machten, mag einmal mehr rechtlichen Gründen geschuldet sein. Die 1982 nachfolgende Songsammlung "Miami", die Mini-LP "Death Party" und das ursprünglich 1984 lizenzierte "The Las Vegas Story" zeigen, wiederveröffentlicht mit diversen auch schon länger auf Vinyl und CD kursierenden Live-Konzerten als Bonus, eine trotz aller Drogenprobleme von Pierce hochgradig aufregende Band. The Gun Club wusste instinktiv, dass es in der Musik wie in jeder Kunstform am Ende nur um eines gehen kann: Es gilt mit seiner Kunst eine Dringlichkeit, ein Verlangen nach Erlösung hervorzurufen, das letztlich nicht gestillt werden kann. Oder, wie auf "Miami" ein Song titelt: "Like calling up thunder".

Nach dem 1985 veröffentlichten, ebenfalls großartigen, wenn auch konventionelleren Soloalbum von Pierce, dem mächtigen "Wildweed", kehrte der Sohn eines Baptistenpredigers noch dreimal zurück. Die Alben "Mother Juno", "Pastoral Hide & Seek" und abschließend "Lucky Jim" waren "durchwirkt". Sie ließen jedoch die alte Größe - wie zwischendurch im Song "Idiot Waltz" - noch erahnen. Mit den jetzt vorliegenden drei Doppel-CDs jedenfalls hat sich Jeffrey Lee Pierce tief ins Gedächtnis jener letzten Generation von Musikliebhabern abseits des Mainstreams eingeschrieben, für die Rock 'n' Roll noch mehr war als ein Freizeitvergnügen für Leute auf der Suche nach akustischen Freizeittapeten. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.12.2009)