Nach der Freigabe des Source Codes durch Netscape - im Jahr 1998 - war man beim Mozilla-Projekt zunächst einmal auf die Fortsetzung der zuvor bevorzugten Anwendungsstrategie bedacht: In Form eine Suite sollten Web-Browser, Mail-Client, HTML-Editor und Co. alle Bedürfnisse der NutzerInnen mit einem Programm abdecken.

Erfolge

Allein: Wirklichen Erfolg sollte man mit diesem Ansatz nie haben, erst als der Firefox (einst: Firebird und noch früher: Phoenix) die virtuelle Bühne betrat, sollte sich das Web nachhaltig ändern. Ihm an die Seite gestellt wurde mit dem Thunderbird eine alleinstehende Version des Mozilla-Mail-Clients, seit 2003 konzentrierte man sich dann ganz auf die Einzelanwendungen. Doch während der Firefox Erfolg um Erfolg feierte, geriet die Entwicklung des Thunderbird beim Mozilla-Projekt zunehmend in den Hintergrund.

Auslagerung

Eine Situation, in der man dann 2007 die Notbremse zog: Mit Mozilla Messaging wurde die Thunderbird-Entwicklung in eine eigene Organisation ausgelagert. Unter neuer Leitung stellte man sich zunächst einmal grundlegende Fragen, etwa welche Rolle ein Desktop-Mail-Client im Zeitalter zunehmend beliebter werdender Web-Mail-Services überhaupt noch einnehmen kann. Gleichzeitig machte man sich eifrig an die Modernisierung der - zuvor recht in Verzug gekommenen - Code-Basis. All dies nahm einiges an Zeit in Anspruch, vor kurzem war es dann aber so weit: Mit Thunderbird 3.0 steht eine neue Generation der Open Source Software zum Download, die grundlegende Verbesserungen des Bestehenden, aber auch so manches neue Feature verspricht.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die Basis von Thunderbird bildet dabei weiterhin der Mozilla-Code, so kümmert sich etwa die Rendering Engine Gecko um die Darstellung der Mails. Konkret kommt hier nun Gecko 1.9.1.x zum Einsatz und damit die gleiche Version, die auch bei Firefox 3.5 ihre Arbeit verrichtet.

Mail

Unterschiede zur Vorgängerversion offenbaren sich schon beim anfänglichen Einrichten eines Mail-Accounts: Mozilla Messaging hat hier einige Arbeit darauf verwendet, um diesen Schritt möglichst einfach zu gestalten - und dies durchaus mit Erfolg.

Sicherheit

So versucht der Thunderbird nach der Eingabe einer Mail-Adresse alle nötigen Server-Einstellungen automatisch herauszufinden, stehen mehrere Optionen zur Auswahl bevorzugt die Software jene Kommunikationsart mit dem höchsten Sicherheitsgrad. Bei Servern mit selbst erstellten Zertifikaten muss allerdings noch deren Authentizität manuell bestätigt werden - wie es ja beim Firefox mit https-Seiten ebenso der Fall ist.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Gegenüber der Vorgängergeneration präsentiert sich das Interface von Thunderbird 3 deutlich aufgeräumter. So hat man etwa den Toolbar auf das nötigste beschränkt, einzelne Mails betreffende Aktionen wie Reply oder Forward sind nun in den Header der jeweiligen Nachricht gewandert.

Gewöhnung

Dies macht zwar logisch durchaus Sinn, mag für bestehende NutzerInnen aber - zumindest anfänglich - auch etwas verwirrend sein. Wer ohne die entsprechenden Knöpfe so gar nicht auskommen mag, kann diese natürlich relativ flott mit dem Toolbar-Editor wieder hinzufügen.

Kontaktfreudig

Überhaupt kommt dem Header der Mail-Nachricht nun größere Bedeutung zu: So lassen sich hier nun mit einem einzigen Klick neue Kontakte hinzufügen - ein Stern neben der jeweiligen Mail-Adresse ermöglich dies. Wer will kann hier aber auch ein Kontextmenü mit weiteren Optionen aufrufen. Apropos Kontakte: Unter Windows 7, Vista und Mac OS X 10.6 "Snow Leopard" wird nun automatisch das lokale Adressbuch in den Thunderbird eingebunden.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Rein optisch passt sich der Thunderbird nun deutlich besser in das umgebende Betriebssystem ein - dies gilt für alle drei offiziell unterstützen Betriebssysteme, also Windows, Linux und Mac OS X. Auch sonst ist der Feinschliff am UI überall positiv zu bemerken, von neuen Icons bis zu aufgeräumten Dialogen hat sich hier zweifelsfrei viel verbessert.

Zentrale

Der prinzipiellen Überlegung folgend, dass die meisten NutzerInnen nicht in unterschiedlichen Mail-Accounts "denken", bietet Thunderbird 3 nun eine Art "universelle Inbox", in der sämtliche neuen Nachrichten zusammengeführt werden - egal woher sie stammen. Auch andere spezielle Verzeichnisse wie den Mist-Kübel oder den Sent-Folder führt man mittels entsprechender "Smart Folders" zusammen - freilich immer mit der Option die Daten auch getrennt anzuzeigen.

GMail

Der zunehmenden Beliebtheit von Googles Webmail-Lösung GMail trägt man ebenfalls mit einer besseren Integration Rechnung, Spezial-Folder wie Trash und Sent werden mittlerweile korrekt abgeglichen. Wer sich nun fragt "Wozu das Ganze?": Thunderbird 3 eignet sich nicht nur als lokales Archiv für die Daten von GMail, sondern bietet sich auch bestens für die Offline-Nutzung an. Zwar gibt es für das Google-Service selbst schon eine zeitlang einen eigenen Offline-Modus, doch selbst der Hersteller empfiehlt hier nicht mehr als die letzten drei Monate an Mails abzuspeichern.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Das Highlight von Thunderbird 3.0 ist allerdings fraglos an anderer Stelle zu suchen: Die mächtige Suchfunktion der neuen Softwaregeneration demonstriert, dass noch einiges Leben in Desktop-Mail-Lösungen steckt.

Grafisches

Nicht nur, dass Suchanfragen hier in Windeseile beantwortet werden, sind diese auch äußerst gelungen aufbearbeitet: Die relevantesten Mails werden samt "Anreißer"-Text dargestellt, eine Zeitlinie informiert über die Häufigkeit des Auftauchens des entsprechenden Begriffs innerhalb der letzten Monate.

Einschränkungen

Mit einzelnen Klicks lässt sich die Suche rasch weiter Einschränken, also etwa nur nach Mails von spezifischen AbsenderInnen stöbern, alle Beiträge ohne Anhang ausblenden, oder eine Begrenzung auf ein einzelnes Verzeichnis vornehmen. Auch die Sortierung nach Relevanz oder Datum kann flott gewechselt werden.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Möglich wird die Geschwindigkeit des Suchvorgangs, da die Mails im Hintergrund vollständig indiziert werden. Was im laufenden Betrieb kaum auffällt, kann beim ersten Start allerdings schon mal so seine Zeit in Anspruch nimmt, wer also bestehende Mail-Verzeichnisse mit mehreren tausenden Nachrichten übernimmt, sollte den Rechner lieber einmal über die Nacht sein Indizierungswerk verrichten lassen.

Tabs

Frische Suchanfragen werden übrigens automatisch in einem eigenen Tab geöffnet, und da wären wir auch schon bei einer weiteren zentralen Neuerung von Thunderbird 3: Wie der Firefox auch beherrscht der Mail-Client nun den Umgang mit mehreren Tabs.

Umsetzung

Die konkrete Umsetzung ist derzeit allerdings noch etwas inkonsistent. So werden zwar Mails bei einem Doppelklick automatisch in einem frischen Tab geöffnet, das Erstellen einer Nachricht erfolgt von Haus aus aber weiter in einem separaten Fenster.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ansonsten zeigt der Tab-Ansatz aber durchaus seine Stärken. So erweist es sich als äußerst nützlich, schnell mal durch die aktuellen Mails zu scrollen und interessante Nachrichten per Mittelklick in einem eigenen Tab zur späteren Bearbeitung abzulegen. Ebenso praktisch, dass nicht nur Mails sondern auch ganze Verzeichnisse in einen eigenen Tab ausgelagert werden können.

Kombination

Wirklich spannend wird es aber erst durch die Kombination mit dem Erweiterungssystem des Thunderbird: So ist es relativ einfach möglich spezielle Ansichten zu entwickeln, die Web-Services in einem eigenen Tab einbinden. Wer etwa das Interface des Google-Kalenders der Mozilla-eigenen Lösung Lightning (die es derzeit leider nur in einer Vorversion für Thunderbird 3 gibt) vorzieht, kann dieses mithilfe eines Add-Ons integrieren.

Integration

Wer nicht vor kleineren Bastelarbeiten zurückschreckt, kann relativ einfach beliebige Web-Services auf diese Weise einbinden, wie Lifehacker anhand von Google Wave demonstriert. So zeigt sich denn auch, dass die Zukunft des Thunderbird durchaus in der Kombination von Web- und Desktop-Services bestehen könnte, die Mozilla-Basis erweist sich insofern als die zentrale Stärke der Software schlechthin.

Screenshot: Bryan Clark / Mozilla Messaging

Zu den weiteren Neuerungen gehört die Möglichkeit mehrere Nachrichten auf einmal zu betrachten: Werden diese mit gedrückter Shift- oder Strg-Taste angewählt, präsentiert sich im Vorschau-Fenster eine eigene Ansicht, in der die betreffenden Mails kurz angerissen werden.

Archiv

Schon lange nötig war eine vernünftige Archivierungs-Funktion, diese reicht nun Thunderbird 3 nach: Mails können gezielt über den zugehörigen Knopf oder die "A"-Taste in eigenes Archiv verschoben werden. Auf diese Weise bleibt die Inbox übersichtlich, über die Suche sind die Nachrichten freilich weiter aufzufinden.

Warnungen

Äußerst nützlich auch der "Attachment Reminder": Weist der Inhalt eines Mails darauf hin, dass eigentlich eine Datei im Anhang zu finden sein sollte, diese aber noch nicht hinzugefügt wurde, warnt das Programm beim Absenden vor diesem Missverhältnis.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Mit Hilfe des Activity Managers lässt sich an zentraler Stelle die Kommunikation mit den Mail-Servern nachvollziehen - nützlich vor allem, wenn einmal etwas schief geht. Nicht vergessen werden sollte natürlich das Add-On-System des Thunderbirds, mit dem sich die Funktionalität der Software erheblich erweitert wurde, und das mit der neuen Version einer starken Überarbeitung unterzogen wurde.

Fazit

So präsentiert sich Thunderbird 3 als äußerst gelungenes - und dringend nötiges - Update für den freien Mail-Client, die Unabhängigkeit in Form von "Mozilla Messaging" hat sich insofern auf jeden Fall bezahlt gemacht. Allerdings gibt es auch der aktuellen Release noch so manches Defizit, gerade der fehlende Exchange-Support behindert wohl die weitere Verbreitung der Software.

Ausblick

Trotzdem kann mit Spannung auf die weitere Zukunft der Software geblickt werden. Vor allem bleibt abzuwarten welche Wege Thunderbird beschreiten wird, um sich der steigenden Herausforderung durch immer mächtiger werdende Web-Mail-Services zu stellen. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 27.12.09)

Screenshot: Andreas Proschofsky