Anders als IBM soll das Blue-Brain-Projekt das Gehirn in seiner ganzen biologischen Komplexität simulieren.

Foto: James Steidl

Es ist gerade einmal drei Wochen her, da ließen die IBM-Forscher auf einer Super-Computing-Konferenz in den USA "die Katze aus dem Sack", wie sie es selbst nannten: Es sei ihnen gelungen, mit dem elftgrößten Computer der Welt ein Katzenhirn zu simulieren. Beeindruckend daran waren nicht zuletzt die technischen Einzelheiten und die großen Zahlen: Man habe mithilfe von 147.456 Prozessoren und 144 Terabyte Arbeitsspeicher eine Milliarde Neuronen und zehn Billionen Synapsen simuliert.

Während sich viele Fachjournalisten überzeugen ließen, war Henry Markram, der mit seinem Blue-Brain-Projekt ganz ähnliche Ziele verfolgt wie IBM, vor allem eines: zutiefst verärgert. In einem offenen Brief an Bernard Meyerson, dem Forschungschef von IBM, fuhr er entsprechend schwere Geschütze auf: Er sei absolut schockiert von der Veröffentlichung, die nichts anderes sei, als ein "Hoax und PR-Stunt". Es gäbe keinen qualifizierten Neurowissenschafter auf diesem Planeten, der zustimmen würde, das dies auch nur annähernd einem Katzenhirn ähnelt.

Im Gespräch mit dem Standard begründet Markram seine heftige Schelte: "Es ist sehr einfach, ein künstliches neuronales Netzwerk mit hunderten Milliarden, ja Billionen von Nervenzellen nachzubauen. Aber ich glaube nicht, dass diese Billionen von Nervenzellen auch nur in die Nähe der Intelligenz einer Ameise kommen."

Deshalb sei die IBM-Behauptung einfach grundfalsch, ein Gehirn simuliert zu haben. Die wahre Schwierigkeit liege nämlich darin, ein Gehirn von jener Komplexität zu konstruieren, die in der Biologie existiert. Genau das sei das Ziel seines Blue-Brain-Projekts, während sich IBM mit dem Konzept der neuronalen Netze zufriedengebe.

In seinem Brief formulierte es Markram noch ein wenig härter: Die IBM-Ansage sei eine "Schande und absolut schädlich für das Forschungsgebiet". Daher komme ihm leider die Rolle zu, die wahre "Katze aus dem Sack" zu lassen über diese plumpe Täuschung der Öffentlichkeit und die irreführenden Behauptungen von IBM. (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 16.12.2009)