Sobald er den roten Pelzmantel um sich gelegt und die große Gürtelschnalle geschlossen hat, ist er ein anderer Mensch: Günter Aichinger.

Foto: Günter Aichinger

Der Bart ist echt, privat...

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...oder als Weihnachtsmann...

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...oder auf dem Weg zur "guten Sache".

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Die Verwandlung zum Weihnachtsmann beginnt im Mai. Dann nämlich lässt Günter Aichinger seinen weißen Bart zu einem rauschenden Naturtraum wachsen. Den Rest erledigt der 61-Jährige Ende November mit wenigen Handgriffen. Nachdem er sich den roten Mantel mit weißem Pelzsaum und Mütze übergestreift hat, gibt er seinem Bart mit einer Sprühdose den weißen Schimmer und den notwendigen Halt. Um die Augenbrauen einzufärben, nimmt er eine Zahnbürste zu Hilfe. "Das sind die kleinen Tricks", verrät der ehemalige Nachtportier, der mit seiner kernigen Gestalt und dem freundlichen Gesicht beste Voraussetzungen für einen überzeugenden Weihnachtsmann mitbringt.

Ist er in den kommenden vier Wochen ein zu spät gekommener Nikolaus oder ein verfrühter  Weihnachtsmann? Da ist Aichinger nicht so streng. "Die Grenzen sind fließend, die Auftragslage ist prächtig." Begonnen hat seine "Zweitkarriere" vor über 20 Jahren mit einem Werbeaufruf eines großen Softdrink-Herstellers. Damals klebte man ihm noch einen Plastikbart ins Gesicht. Für Aichinger das erste und letzte Mal. Mit dem Entschluss, den Bart wachsen zu lassen, spornte er auch seinen Erfolg an. "Die Leut' wollen heute keinen Kunstbart mehr. Überhaupt, wie schaut des aus, wenn das Zeug schief im Gesicht pickt oder, was ich auch schon gesehen hab', drei Zopferln vom Kinn hängen?"

Aichingers Einsatzgebiet reicht von privaten, über Firmen-Feiern, von "Hohohos" in Einkaufszentren bis zum kostümierten Chauffeur von Stretch-Limousinen mit betuchten Kunden. Von der Polizei dermaßen einst angehalten, verweigert er die Auskunft über die Identität seiner Fahrgäste: "Was geht Sie des an?" Er steht auf Weihnachtsmärkten, verteilt Süßigkeiten und bringt Geschenke. Wird ein Krampus gewünscht, springt seine Tochter ein. Bei Bedarf wird sie auch zum Christkindl.

Als Weihnachtsmann kommt Aichinger viel herum, bewegt sich in den unterschiedlichsten Schichten, betritt Wohnungen armer und reicher Leute, genauso wie die heimischer Prominenz. Ihm ist's egal, wichtig seien die Kinder. "Ich renn' nicht gleich nach 20 Minuten weg, wenn's länger dauert, dauert's eben länger."

Handys und Laptops

Aichinger ist in gewissem Sinn auch ein Zeitreisender: "Das klassische Nikolo-Sackerl mit Mandarinen, Nüssen und Äpfeln gibt es kaum mehr." Von wegen Wirtschaftskrise: Heute stünden neben Spielsachen und Handys, "auch Laptops" auf der Geschenkeliste. "Ich hab mir inzwischen Spezial-Säcke aus Jute besorgt, die sind größer und stabiler. "Tragbar müssen's bleiben." Eine Sicht, die nicht jeder Kunde teilt. "Ich war gebucht für vier, fünf Kinder. Ich komm zu einer Nobel-Wohnung und sehe die Säcke am Gang. Nicht irgendwelche. Zehn Stück, jeder mindestens einen Meter hoch." Wer das tragen solle? Der Hausherr quittiert die Frage mit einem Blick auf Aichinger, der verweigert: "Net mit mir, wissen's was? Ich nehm mir jetzt den leichtesten, den Rest tragen Sie." Pädagogik auch für Erwachsene sozusagen.

Bei einer augescheinlich sehr armen Familie wiederum lehnt er den Gesamtbetrag von 50 Euro ab. "Ich hab g'sagt, geben's mir 30. Passt schon." Die soziale Ader kann der gebürtige Oberösterreicher nicht leugnen. Ein Freund, Hausmeister im 22. Bezirk, muss für seinen Benefiz-Punsch für die Wiener "Gruft" weder lange noch laut rufen: Aichinger samt Tochter - diesmals als Christkind - galoppieren in einer weißen Kutsche hinter zwei weißen Rössern ein. Mit den "Roten Nasen" würde er gerne zur Weihnachtszeit in Krankenhäuser gehen, ehrenamtlich - versteht sich. "Aber die haben mir bis jetzt nicht geantwortet." 

"Der Nikolaus ist cool"

Die Arbeit ist mitunter stressig. Tritt er in einem Shopping-Center auf, muss er sich innerhalb eines Tages bis zu drei Mal umziehen. "Wissen'S wie heiß einem unter so einem Mantel wird?" In einem Interview vor einigen Jahren soll ihn ein Journalist gefragt haben: "Welcher Idiot tut sich so etwas an?"

Einer, der leidenschaftlich dabei ist. Aichinger lacht. Rund 70 Anfragen muss er heuer schon ablehnen. Die Zahl der Stammkunden wächst - mitunter proportional zum Wiedererkennungsfaktor. "Schau mal, Papa, der Nikolaus hat ein Flinserl. Der Nikolaus ist cool." Im Jahr darauf fehlt das Flinserl. Aichinger: "Ich weiß auch nicht warum, ich hab's halt rausgetan." Selbiger Sohn zu selbigem Vater: "Das ist doch der Nikolo von letztem Jahr. Aber wo hat er sein Flinserl?" Der 'Weihnachtsmann' schmunzelt, die Zeit stehe eben nicht still, und - wenn es heute dazugehört, sei er eben 'cool'.

Was er die restliche Zeit des Jahres macht? Neben kleinen Rollen fürs Kino ("Schauspieler werd' i keiner, mein Nachteil ist, i kann net Hochdeutsch"), sieht man ihn immer wieder auf Plakatwänden für Werbekampagnen bekannter Firmen. "Am 25. Dezember, gleich in der Früh, kommt der Bart ab. Und im Frühling bin ich der Osterhase. Da habe ich zwei Schlapfen an, Riesen-Ohrwaschel und steck in einer Ganzkörpermontur. Mit einem Korb um den Bauch verteile ich Ostereier, man wird nur die Augen, die Nase und den Mund sehen." Das dürfte reichen. Der strahlende Blick spricht für sich. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 16.12.2009)