Für das Foto nimmt Dr. Benedek Lena auf den Schoß. Sie hat Ohrenschmerzen. Ihre beiden Schwestern werden auch untersucht.

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Die Pensionistin kommt zum Verbandwechseln fast jeden Tag zum Arzt. Ihre Schwiegertochter führt sie. Busse fahren sehr selten in und nach Kukmirn im Südburgenland.

Foto: Gregor Zeitler

Wenn Benedek einmal an seinen Nachfolger übergibt, wird dieser die Hausapotheke nicht übernehmen können. Doch für viele Ärzte ist der Zusatzverdienst existenzsichernd. Das Nachfolger-Problem bereitet den Ärzten jetzt schon Kopfzerbrechen.

Foto: Marijana Miljkovic

Eins, zwei, drei. Die Mädchen im lieblichen Gewand sind gut aufgelegt. Aufgeweckt sehen sie sich um, als sie in das weiße Behandlungszimmer kommen. Nur die Mittlere, Lena, die Schnupfen und Ohrenschmerzen hat, ist ein wenig zurückhaltend. Doch ihre Mutter weiß: Wenn ein Kind krank ist, dauert es nicht lange, bis auch die Geschwister das Bett hüten müssen. Deswegen hat die Mittdreißigerin gleich ihre gesamte Drei-Mäderlrunde zu Burkhard Benedek gebracht.

Benedek ist Arzt in Kukmirn im Süden Burgenlands. Er kennt die Tricks, wie man die kleinen Patienten bei Laune hält - und von der Untersuchung ablenkt: Denn das blonde Mädchen drückt sich schüchtern zur Mutter und murmelt wehleidig in den Stoff der Hose. Benedek kramt aus einer Lade einen Kreisel hervor. "Schau, da hab ich was für dich". Lena ziert sich, in der Zwischenzeit untersucht Benedek ihre Schwestern. Ein paar Mal dreht Lena das Spielzeug. Die Ablenkung ist gelungen. Sie sagt "aaa", als Benedek ihren Rachen begutachtet. Er horcht sie mit dem Stethoskop ab, schaut ihr mit dem Ohrenspiegel in die Ohren und die Untersuchung ist beendet. Artig sagen die Geschwister auf Wiedersehen, ihre Mutter nimmt am Empfang noch Medikamente entgegen. Benedeks Frau leitet die ärztliche Hausapotheke.

Doch Benedeks Patienten suchen ihn nicht nur bei körperlichen Gebrechen auf. Im Wartezimmer hat sich mittlerweile auch eine Familie eingefunden, die zum Reden kommt - Benedek hilft ihnen, den Verlust eines Familienmitglieds zu verarbeiten. Doch vorher ist noch eine rüstige Pensionistin dran. Sie hatte sich am Bein verletzt, wurde im LKH Graz operiert und muss zum Verbandwechseln regelmäßig zum "Herrn Doktor". Verbandwechseln ist noch das Geringste: Benedek führt im Notfall auch kleinere Operationen durch. Das nächste Krankenhaus, Güssing, ist zwölf Kilomteter entfernt.

Nachfolge ungewiss

Sein Tag ist durchgeplant, Benedek ist viel unterwegs. Im Krankenhaus hat er gearbeitet, doch dann kam das Angebot, eine Praxis am Land zu führen. Er ist froh über die Entscheidung: "Hier bin ich mein eigener Chef", sagt der Arzt.

Doch trotz - oder gerade wegen - des dichten Tagesprogramms wird der Beruf des Landmediziners immer unattraktiver, beklagt die Ärztekammer. Noch denkt Benedek nicht ans Aufhören. „Doch die Bedingungen werden schwieriger", sagt der Arzt. Mit Kollegen in der Stadt will sich der Mediziner gar nicht vergleichen. „Ich glaube, es wird schwierig, einen Nachfolger zu finden".

Die Szenarien um die Praxen am Land, egal wo in Österreich, ähneln sich: Zwar ist das Einsatzgebiet groß, doch die Anzahl der Patienten wird wegen Landflucht immer kleiner und die die bleiben, werden immer älter. Die Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht zufriedenstellend. Busse fahren in manchen Gebieten selten. Zu Benedek kommen die Patienten manchmal auch mit dem Traktor.

Zu den verschärften Bedingungen gehört auch die Verordnung zu den Hausapotheken, die von Ärzten betrieben werden. Denn wenn im Umkreis von sechs Kilometern eine Apotheke aufsperrt, muss der Landarzt seine Apotheke zusperren, beziehungsweise kann sein Nachfolger die Ordination nicht mit Hausapotheke übernehmen. Damit geht auch eine Einnahmequelle verloren, eine existenzsichernde, wie die Ärztekammer meint.

Die Bereitschaft junger Ärzte, eingeführte Landarztordinationen zu übernehmen, sank laut Ärztekammer in den letzten zwei Jahren um 20 Prozent. Jörg Pruckner, bei der Standesvertretung zuständig für Landmedizin und Hausapotheken, ist besorgt: „Es ist keine Panikmache. Es ist schlimm. Der Schaden geschieht schleichend und zunehmend - und ist später nicht mehr gut zu machen."

Streit der Lobbys

Doch genau als Panikmache sehen die Apotheker den Aufschrei der Landärzte. „Die Panikmache der Ärztekammerfunktionäre entbehrt jeder Grundlage und zeichnet ein Bedrohungsszenario für eine medizinische Unterversorgung, das es nicht gibt", sagt Apothekerkammerpräsident Heinrich Burggasser.

Überall dort, wo es am Land eine Apotheke gebe, würden Zustelldienste für gebrechliche oder bettlägerige Menschen bei Bedarf angeboten, heißt es. Im Sommer starteten die Landapotheker  eine Kampagne, mit dem Motto „Zum Glück haben wir eine Apotheke im Ort."

Bisher sei auch kein Fall bekannt geworden, dass eine Landarztpraxis nicht nachbesetzt werden konnte, verteidigen sich die Pharmazeuten wiederholt. Sollte ein Landarzt durch den Wegfall der Hausapotheke tatsächlich nicht wirtschaftlich überlebensfähig sein, dann sei die Ärztekammer als Berufsvertretung gefordert, für eine ausreichende Honorierung zu sorgen, argumentiert man seitens des Interessensverbandes.

Arbeit geht weiter

Während sich die Lobbys streiten, geht für Landarzt Benedek die Arbeit weiter. Dass ihm die Arbeit ausgeht, glaubt er nicht. Doch ohne Hausapotheke hätten es Landärzte weitaus schwieriger, sagt er. Benedek ist Kreisarzt, was mehr Aufgaben als seine Praxis offen zu halten bedeutet. Er veranstaltet in der Gemeinde Vorträge zu aktuellen Themen wie etwa Schweinegrippe oder Altersdepression. „Dabei geht es darum, in einfachen Worten das Wesentliche zu erklären, damit sich die Leute auskennen und nicht durch Medienberichte verunsichert werden", sagt Benedek. Totenbeschau, Notdienste und Impfungen an Schulen gehören ebenfalls zu seinen Aufgaben, das alles neben den normalen Ordinationszeiten am Vormittag und den Hausbesuchen am Nachmittag.

Die Vormittagssprechstunde ist mittlerweile beendet. Dr. Benedek nützt die Lücke zwischen den Ordinationszeiten und packt seinen Arztkoffer ins Auto. Er fährt los, zum ersten Hausbesuch. (Marijana Miljkovic, derStandard.at, 25.12. 2009)