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Jens Lehmann droht eine Sperre. Sein Vertrag in Stuttgart endet im Juni 2010 - vielleicht aber schon früher.

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Oliver Kahn zeigt kein Verständnis für die Eskapaden: "Ich weiß nicht, was mit ihm los ist. Das passiert fast jeden Spieltag. Er hat ein Problem."

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Wien/Stuttgart - Immerhin hat sich Jens Lehmann bei seinen Mannschaftskollegen entschuldigt. Wegen eines Vorfalls, der sich am Sonntag in Mainz zugetragen hat. Stuttgart führte 1:0, als der 40-jährige Goalie in der 87. Minute Aristide Bancé auf den Fuß trat. Lehmann wurde ausgeschlossen, Mainz nützte den Elfer zum 1:1. Und Stuttgart muss sich in der Tabelle weiterhin nach unten orientieren, ist 15. Mindestens so abenteuerlich wie das an Sinnlosigkeit kaum überbietbare Foul war des Tormanns Stadionflucht. Einem Fan hat er die Brille runtergerissen, es folgte ein Streit mit einem Kameramann. Dann suchte er ein Taxi, fand keines, stieg gnadenhalber in den Mannschaftsbus ein. Dieser musste vor einem Standplatz halten, Lehmann ließ sich zum Flughafen chauffieren.

Am Montag musste er in Stuttgart zum Rapport, Manager Horst Heldt und Trainer Christian Gross hatten darauf bestanden. Eine vorzeitige Trennung ist praktisch vom Tisch. Der als Disziplinfanatiker bekannte Gross wird aber weitere Egotrips auf keinen Fall dulden. "Mir geht der Mannschaftserfolg über alles. Wie Jens sich vor der Fankurve des Gegners hochgeschaukelt hat, das war peinlich", erklärte der Schweizer.

Der Vorgänger von Gross, Markus Babbel, hatte Lehmann suspendiert, weil er ohne Absprache das Oktoberfest besucht hatte. Und zwar nicht am Vormittag. Dass Lehmann später den Vorstand wegen der Entlassung von Babbel kritisiert hat, ist fast komisch. Witzig ist weiters, dass er die Geldstrafe von 40.000 Euro partout nicht zahlen will. Während des Champions-League-Spiels gegen Urziceni hat er das Feld verlassen, um hinter einer Werbebande zu verschwinden. Lehmann könnte gepinkelt haben. Eigentlich hätte ihn der Schiedsrichter ausschließen müssen. Schwein gehabt, Stuttgart siegte 3:1, stieg ins Achtelfinale auf.

Kein Handschlag

Franz Wohlfahrt, aktueller Tormanntrainer des österreichischen Nationalteams und einst Legionär bei Stuttgart (von 1996 bis 2000), hat Lehmann, als dieser für Schalke und Dortmund werkte, kennengelernt. "Ein distanzierter Ungustl, respektlos. Er hat immer den unter Torleuten üblichen Handschlag verweigert." Natürlich seien Goalies generell ein bisserl eigenwillig, "aber er überschreitet die Grenzen" . Der 45-jährige Wohlfahrt, der dem Standard versichert, kein diplomierter Psychologe zu sein, kann über Lehmanns Geisteszustand nur mutmaßen. "Vielleicht holt er am Ende seiner Karriere die Pubertät nach. Oder er gerät in Panik, weil es bald vorbei ist. Dann täte er mir leid, dann wäre er ein Fall für den Arzt. Normal ist man auf das Ende vorbereitet und genießt demütig jedes Spiel."

Möglicherweise - und Wohlfahrt ist immer noch kein diplomierter Psychologe - sei Oliver Kahns Schatten schuld an Lehmanns Aussetzern. "Kahn zuckte auch oft aus, er war aber der bessere Tormann. Und er hat einem jederzeit die Hand gegeben, war trotz aller Verrücktheiten ein Teamplayer. Zudem ist er würdig abgetreten." Kahn wäre, so Wohlfahrt, nie mit einem Hubschrauber zum Training geflogen, er hätte auch keinen Sonderstatus verlangt. Lehmann ließ sich in seinen Vertrag bei Stuttgart einen zusätzlichen freien Tag einbauen, um mehr Zeit mit seiner in München lebenden Familie zu verbringen. Dieser Passus wurde mittlerweile entfernt.

Lehmann verdrängte Kahn vor der WM 2006 aus dem deutschen Tor, der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann neigte zu unpopulären Entscheidungen. Lehmann spielte kein schlechtes Turnier, für die Öffentlichkeit blieb er aber zweite Wahl. Nach der EURO 2008 beendete er seine Teamkarriere, Monate später wollte er zurück, Joachim Löw sagte Nein. Wohlfahrt: "Lehmann wollte vermutlich mehr sein, als er war."

Dass er eventuell pinkeln musste, empfindet Wohlfahrt als nicht so schlimm. "Menschlich. Aber ich hätte eher in die Hose gemacht." (Christian Hackl, DER STANDARD, Printausgabe, Dienstag, 15. Dezember 2009)