Das Verfassungsgericht folgte der öffentlichen Meinung, und die war schon vor Wochen gekippt. Am Freitag wurde die einzige kurdische Parlamentspartei, die DTP, in der Türkei verboten. Damit ist der Friedensprozess mit den Kurden gestoppt, wenn nicht gestorben. Die Hoffnungen von Millionen, dass Premier Tayyip Erdogan sich mit seiner Initiative für mehr Rechte für die Kurden und der Integration der ehemaligen Kämpfer in die Gesellschaft, durchsetzt, wurden zunichte gemacht. Ein Teil der kurdischen Bevölkerung wird sich wohl wieder radikalisieren und aus dem demokratischen Prozess verabschieden.

Was ist schiefgelaufen? Noch vor wenigen Wochen kehrten ehemalige PKK-Kämpfer von den Bergen zurück, Erdogan hatte ihnen Straffreiheit zugesichert. Doch die Bilder von Männern in Kampfanzügen, die wie Sieger in Diyarbakir empfangen wurden, erzeugten Misstrauen bei vielen Türken. Die radikale Rechte warf Erdogan vor, mit Terroristen zu paktieren. Erdogan fühlte sich von der PKK bloßgestellt und ruderte zurück. Dann folgten zwei brutale Anschläge der PKK. Der inhaftierte Ex-PKK-Führer Abdullah Öcalan hatte sich offenbar erhofft, stärker in den Friedensprozess einbezogen zu werden. Und nun stimmten sogar die der Regierungspartei AKP nahestehenden Verfassungsrichter für ein Verbot der DTP, obwohl die Partei sich wie Erdogan für eine politische Lösung des Kurdenkonflikts einsetzte und die Anschläge verurteilt hatte.

Das Verbot der DTP trifft nicht nur die Falschen. Die DTP im Parlament zu haben ist nämlich keineswegs gefährlich, sondern eine Grundvoraussetzung für den Frieden. Die Justiz ließ sich aber vom Terror der PKK beeindrucken und leiten, die offenbar keinen Frieden will. Das Parteiverbot ist ein politisches Urteil, das die Türkei aber nicht nur in der Kurdenpolitik um Jahre zurückwirft - es stellt auch einen Rückschritt im gesamten Demokratisierungsprozess dar. Eine Partei wie die DTP zu verbieten bedeutet, politische Freiheiten einzuschränken.

Das Urteil zeugt vom mangelnden Demokratieverständnis der türkischen Justiz. Es erinnert an frühere Parteiverbote und an Zeiten, die man für längst überwunden hielt. Aber auch die Regierung Erdogan ist angesichts der nationalistischen Rhetorik eingeknickt. In der Kurdenpolitik war sie aufgrund des Drucks der Militärs und der Opposition schon früher auf Zickzackkurs, trotzdem war Erdogan bisher der Einzige, der den Friedensprozess in Gang brachte. Für den Mann aus kleinen Verhältnissen sind Kurden keine Staatsfeinde, sondern Bürger, die wie er den sozialen Aufstieg suchen. Vor allem aber potenzielle Wähler.

Deshalb ließ er den staatlichen kurdischsprachigen Fernsehsender TRT 6 gründen, führte Kurdischstudien ein, ließ türkisierte Dorfnamen wieder auf Kurdisch schreiben und dachte über die Amnestie für PKK-Kämpfer nach. Entspannung war zu spüren. Wer auf öffentlichen Veranstaltungen Kurdisch sprach, wurde nicht mehr verhaftet.

Um nicht alle Erfolge zu gefährden, ist zu hoffen, dass die DTP-Abgeordneten nicht das Parlament verlassen. Politische Ausgrenzung führte in der Vergangenheit nur zu Gewalt.

Erdogan braucht zudem die Unterstützung der EU für Reformen, die ein willkürliches Vorgehen der Justiz, wie es nun sichtbar wurde, künftig verhindern. Etwa eine Verfassungsreform, die Minderheitenrechte und die Gewaltentrennung festschreibt. Vernünftig ist deshalb, wenn die Beitrittsoption, die Reformen fördert, bestehen bleibt.

Für die Parlamentswahlen 2007 warb die DTP mit dem Slogan "Bin Umut", zu Deutsch "Tausend Hoffnungen". Es bleibt zu hoffen, dass bald eine kurdische Nachfolgepartei mit einem ähnlichen Slogan antreten kann. (Adelheid Wölfl/DER STANDARD, Printausgabe, 14.12.2009)