WU-Rektor Christoph Badelt sieht in den Studentenprotesten auch "das Unbehagen einer Generation, die das Gefühl hat: Wir können da nicht mitspielen, und wir wissen nicht, wie wir hineinkommen."

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DER STANDARD: Sie waren fast fünf Jahre Rektorenchef und eigentlich sind die politischen Rahmenbedingungen für die Unis noch immer die alten. Hat die Politik versagt?

Badelt:  Es ist nicht alles beim Alten, aber es hat sich zu wenig geändert und es gibt bestimmte Dogmen, über die noch niemand drübergehupft ist. Das sind die leidigen Themen Uni-Zugang und Gesamtschule, aber auch die offensichtlich noch nicht durchsetzbare Erkenntnis, dass die Uni-Finanzierung mehr ist als nur die Forderung von irgendwelchen Lobbies, sondern dass es da wirklich um die Zukunft unseres Landes geht. Dieser Quantensprung, dieser Systemwechsel wurde nicht vollzogen.

DER STANDARD: Ihnen als Volkswirt braucht man nicht zu erklären, dass Bildungsinvestitionen auch einen gesamtgesellschaftlich hohen Nutzen haben. Sitzen in der Regierung zu wenig Volkswirtschafter? Es scheint für alles Geld aufzutreiben zu sein, nur nicht für die Unis.

Badelt:  Ich teile dieses Bild, glaube aber eher, dass das nicht Mangel an volkswirtschaftlichem Wissen ist, sondern dass es da eher darum geht, dass die Politik offensichtlich viel leichter kurzfristigen Popularitätsgesichtspunkten folgt oder eben Druckmechanismen - egal, ob das jetzt die Pensionisten oder die Beamten oder die Autoverkäufer oder die Landeshauptleute sind -, und dass es offensichtlich nicht gelingt, aus Forschung und Bildung Themen zu machen, mit denen man glaubt, auch populär zu sein.

DER STANDARD: Seit wann ist das österreichische Uni-System auf dieser finanziell ungesunden schiefen Ebene, auf der alles ins Rutschen kommt? Lässt sich das festmachen?

Badelt:  Seit in der Ära Kreisky die Studierendenzahlen stark gestiegen sind, ist es nicht zu einer entsprechenden Anpassung der Budgets gekommen. Man muss aber schon sagen, dass das dahinterstehende Problem, nämlich wie viel man überhaupt für Forschung und Bildung ausgibt, offensichtlich noch nie wahrgenommen wurde - im Unterschied zu den skandinavischen Ländern, den USA, ganz zu schweigen von den aufstrebenden Ländern des Fernen Ostens. Es ist dramatisch, wie engstirnig die österreichische Politik hier ist. Doch auch abgesehen vom Geld: Wenn man in der internationalen Szene erzählt, worüber in der österreichischen Uni-Szene gestritten wird, glauben die Leute, sie erzählen einen Witz. Die Kombination von freiem Zugang, keiner Studienplatzfinanzierung und der Forderung nach Spitzenqualität wird als absurd angesehen. Wir sind da völlig abgekoppelt von der internationalen Diskussion.

DER STANDARD: Fühlen sich die Rektoren von der Politik im Stich gelassen? Die Politik sorgt nicht für genug Geld, damit sie gute Betreuungsverhältnisse hinkriegen, regt sich dann aber auf über hohe Drop-out-Raten und zu geringe Akademikerquoten.

Badelt:  Natürlich fühlen wir uns im Stich gelassen, denn das einzige, was immer gesetzlich fixiert worden ist, waren die Verpflichtungen für die Universitäten. Als wir prognostiziert haben, dass mit der Abschaffung der Studienbeiträge der Geldersatz nicht kommen wird, hat man uns als parteipolitische Handlanger bezeichnet - und wir haben Recht behalten. In Wahrheit lässt man uns insofern im Stich als man das, was populär klingt, in Gesetze gießt, und alles andere unkonkret verspricht, es aber nie einlöst.

DER STANDARD: Aus der ÖVP kam der Ruf nach der Polizei, um das Audimax-Problem zu lösen. Ihre Meinung?

Badelt:  Ich finde es bemerkenswert und überaus positiv, bei aller Kritik an der Protestbewegung, dass sie nie zur Gewalt gegriffen hat. Und ich würde mich hüten, mit Gewalt zu beginnen.

DER STANDARD: Sehen Sie in den Studentenprotesten des Jahres 2009 auch ein tiefergehendes Unbehagen an der sozialen Verfasstheit der Gesellschaft? Ist da mehr in Bewegung als "nur" die Besetzung des Audimax?

Badelt:  Ja, unbedingt. Ich glaube, dass das auch das wirkliche Problem ist. Warum ist es möglich, dass mit relativ nebulosen Forderungen, die neben den konkreten auch kamen, nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern Studierende auf die Straße gehen und ihren Frust loslassen? Das ist etwas, das wir nicht unterschätzen sollten. Es gibt offensichtlich ein wachsendes Auseinanderdriften des politischen und wirtschaftlichen Systems von der nachfolgenden Jugend. Und es geht offensichtlich um mehr als nur um ein paar politische Extremisten, die es in einer Demokratie immer gibt. Ich weiß nicht, ob den Audimax-Besetzern auffällt, wie sehr sie in den letzten Wochen von der Politik auch missbraucht worden sind. Wer sich aller mit den Leuten solidarisiert hat und wo man sich fragt, was heißt das Wort solidarisieren? Leute, die eigentlich die Macht hätten, zu entscheiden, glauben auf einmal, wenn sie sagen, ich solidarisiere mich, sind sie kurzfristig populär.

DER STANDARD: Die Antworten der Politik auf dieses Unbehagen der Jugend halten Sie nicht für ausreichend?

Badelt: Ja, wobei ich es nicht so einengen würde zu sagen, da ist jetzt Minister A oder Ministerin B schuld, sondern ich glaube, dass hier wirklich eine Fundamentalkritik an unserer repräsentativen Demokratie und auch an den wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen stattfindet, die nicht so leicht aufzulösen ist, das ist schon klar. Aber es ist einfach auch das Unbehagen einer Generation, die das Gefühl hat, wir können da nicht mitspielen, und wir wissen nicht, wie wir hineinkommen. (Lisa Nimmervoll/DER STANDARD-Printausgabe, 14. Dezember 2009)