Ludwig Laher antwortet im Fußballkrieg der Worte.

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In Wiener Neustadt war der Nebel eingefallen, das Match der dortigen Kicker gegen den LASK musste abgesagt werden. Frustriert nach acht Stunden im Zug für nichts und wieder nichts strömte das gute Dutzend Anhänger beiderlei Geschlechts am Hauptbahnhof von Linz spätabends nicht mehr ganz nüchtern in die Straßenbahn und erfreute die Fahrgäste sofort mit laut gegrölten einschlägigen Sinnsprüchen. Dazwischen wurde heftig, aber Gott sei Dank wenig ergebnisorientiert diskutiert, ob der da hinten, der so komisch schaute, nicht eine Kanakenvisage habe und sich etwas abholen wolle. Schweigen allenthalben im dicht besetzten Cityrunner, die Meinungshoheit war schnell errungen. Der Fahrer fuhr, sonst tat er nichts.

Eine Szene, wie sie mittlerweile üblich geworden ist in den von der neuen Jugendbewegung national befreiten Zonen öffentlicher Verkehrsmittel dieses Landes.

"Wir sind die Asozialen von Linz! Wir sind die Rechtsradikalen von Linz!" gehörte zu den beliebtesten Reimen dieser Gruppe LASK-Fans. Hätten die Umstände und ihr Alkoholpegel nicht dagegen gesprochen, wäre ich mit ihnen gern in eine Unterhaltung darüber eingetreten, was sie da eigentlich von sich gaben. Denn nicht alles, was sich reimt, passt zueinander.

In meinem Roman "Herzfleischentartung" erzähle ich unter vielem anderen die wahre Geschichte zweier dort beschäftigter Siebzehnjähriger, die 1940 beim Fußballspielen mit dem NS-Betriebsjugendwalter der Papierfabrik Steyrermühl in Streit gerieten, ihn geohrfeigt haben sollen und dafür umgehend in ein vom Reichsgau Oberdonau extra eingerichtetes Arbeitserziehungslager für asoziale Volksgenossen eingewiesen wurden. Auch in diesem Lager wurde brutal gefoltert und umgebracht.

Aber womöglich ginge eine solche inhaltliche Auseinandersetzung am Thema vorbei oder käme erst als zweiter Schritt in Frage. So bedrohlich sich die Szene auch ausnahm, die jungen Krakeeler konnten einem trotz allem irgendwie leid tun. Sie wirkten auf mich wie Leute im finsteren Wald, die gegen ihre Furcht ansingen, obwohl sie bestreiten würden, dass sie sich ängstigen. Und am LASK und am Rechtsradikalismus und am Asozialsein und am Alk scheinen sie sich festzuhalten, weil sich ihre Aggressionen so gemeinschaftlich ausleben lassen, bevor sie zuhause und allein wieder in sich zusammensinken, weil sie nicht bestehen.

Gerhard Zeillinger hat an dieser Stelle die Frage gestellt, woher 16-Jährige das Horst-Wessel-Lied kennen. Offensichtlich kümmert sich jemand um sie, nicht zuletzt via Internet. Bestärkt sie in ihrer latenten Hau-drauf-Mentalität durch edle Hau-drauf-Lieder, fest geschlossene Reihen im finstren Wald, den sie vor lauter Bäumen der Desorientierung, die ihnen aufgestellt werden, gar nicht sehen. Nützt sie für ihre Zwecke.

Es sollten sich auch andere um sie kümmern. Möglichst früh, möglichst ohne Moralkeule und Besserwisserei. Ein Gebot der Stunde ist das.

In Stranger than fiction erzählt US-Kultautor Chuck Palahniuk, der sich mit derlei auskennt, von Menschen, die ihre ganze Energie einsetzen, ihr Leben als destruktive Reaktion auf die Umstände zu vergeuden, vom Koch im Gourmettempel, der Gerichte für verhasste Politiker mit seinem Sperma garniert, bis hin zu den Veranstaltern von Schulmassakern. Es ginge aber darum, so Palahniuk, Lust zu machen, die Kräfte aufs Gestalten zu verwenden, zumindest äußern zu lernen, was einem besser vorkäme und täte, jenseits der Aggressionsrituale.

Eine anspruchsvolle Forderung in dieser Welt, die - nicht nur wegen der begrifflichen Verwechslungsgefahr - mehr als einer bloß nationalen Kraftanstrengung bedarf. Aber anfangen müssen wir trotzdem hier. (Ludwig Laher, DER STANDARD Printausgabe 11.12.2009)