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"Via L'Amianto" - Einige Opfer kämpften seit mehr als 20 Jahren für den Prozess.

Werden Asbestfasern eingeatmet, kann das zu einer chronischen Entzündung in der Lunge und zu Krebs führen. Eine geringe Menge eingeatmeter Fasern kann noch nach 30 Jahren Krebs auslösen.

Foto: APA/MARCO TONINO

Mailand - In der norditalienischen Großstadt Turin begann am Donnerstag der Mammutprozess gegen den Schweizer Milliardär Stephan Schmidheiny und den belgischen Baron Jean-Louis de Cartier. Die beiden Angeklagten stehen wegen 2800 Krankheits- und Todesfällen in italienischen Eternitfabriken vor Gericht. Zwischen 1966 und 1986 sollen sie durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen den Tod von 2056 Menschen und die Erkrankung von weiteren 833 Arbeitern und Anrainern herbeigeführt haben. "Ein Massaker vor Gericht" , kommentierten italienische Medien.

Den Angeklagten drohen unter anderem Freiheitsstrafen von bis zu zwölf Jahren und Entschädigungszahlungen von hunderten Millionen Euro. Die Präsidentin der Region Piemont meinte beim Prozessauftakt, dass es sich um einen dramatisch denkwürdigen Tag für die Region und einen historischen für die Justiz handle.

Beim Turiner Prozess, der sich monatelang hinziehen wird, handelt es sich um einen der größten Umweltprozesse in Europa. Doch weder der Schweizer noch der französische Angeklagte waren beim Prozessauftakt anwesend.

Der Turiner Staatsanwalt Raffaelo Guariniello hatte nach mehr als fünfjährigen Untersuchungen im vergangenen Sommer Anklage erhoben. Laut Anklage ist es der größte Prozess, der jemals wegen der mittlerweile verbotenen Brandschutzfaser angestrengt wurde.

Der Anwalt Bruno Pesce, der die Opfer aus der Gemeinde Casale Monferrato in der Nähe von Turin vertritt, erklärte, das Verfahren diene vor allem der Suche nach der Wahrheit. Casale Monferrato ist mit 1500 Todesopfern die am stärksten betroffene Gemeinde.

Die italienische Eternit-Niederlassung ging vor 23 Jahren pleite. Der Baustoff Asbest wurde allerdings erst Jahre später verboten. Staatsanwalt Guariniello erklärte, dass die beiden Angeklagten die Entscheidungsgewalt gehabt hätten - aber keinerlei Sicherheitsmaßnahmen getroffen hätten.

Die Opfer hatten bereits vor Jahren die von den Angeklagten geforderte Einstellung des Verfahrens zurückgewiesen. Allein die Abhaltung des Prozesses wird nun von den Verwandten der Opfer als Sieg gefeiert.

Tödliche Faser

Wegen seiner Feuer- und Säurebeständigkeit galt Asbest in den 60er- und 70er-Jahren als Wunderfaser. Das Mineral wurde unter anderem zu Dachplatten, Fassadenverkleidungen, Bremsbelägen und Wasserrohren verarbeitet. Auch in älteren Elektrospeicheröfen, Toastern oder Haartrocknern kann Asbest enthalten sein. Ende der 80er-Jahre gerieten asbesthaltige Materialien in Verruf.

Durch Bearbeitung und Zerstörung asbesthaltiger Produkte, aber auch durch klimatische Einflüsse, Alterung und Zerfall kann Asbest-staub in die Atemluft gelangen. Werden Asbestfasern eingeatmet, kann das zu chronischen Lungenentzündungen und zu Krebs führen. Theoretisch genügt eine einzige Faser, Krebs zu erzeugen. Das Risiko steigt, je intensiver man den Fasern ausgesetzt ist. Dass das Einatmen von Asbeststaub gefährlich ist, war schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt. (Thesy Kness-Bastaroliaus, DER STANDARD - Printausgabe, 11. Dezember 2009)