"Die vielleicht wichtigste Aufgabe von Frontex ist die EU-weite Verbesserung der Standards der Grenzüberwachung, nicht nur bei der Effizienz und Effektivität, sondern auch was die Menschenrechte betrifft", sagt Robert Strondl.

Foto: BMI / Egon Weissheimer

Flüchtlinge, die per Boot übers Mittelmeer nach Europa wollen, haben nur eine 75-prozentige Überlebenschance. Im Schnitt ertrinkt jeder Vierte von ihnen. Das geht aus einer Schätzung der französischen Geheimdienste hervor, wie die französische Zeitschrift "L'Express" Anfang Dezember berichtete. Die tatsächliche Anzahl jener, die auf ihrer Reise Richtung Europa ums Leben kommen, ist kaum zu ermitteln, da meist nicht bekannt ist, wie viele Leute sich auf den Booten befinden. Aber, es gebe "eindeutig rückläufige Trends", sagt Robert Strondl. Der Generalmajor ist Leiter der Abteilung Einsatzangelegenheiten im Bundesministerium für Inneres (BMI) und wurde Ende November erneut zum Vorsitzenden des Steuerungsgremiums der EU-Grenzschutzagentur Frontex gewählt. Im Gespräch mit Anna Giulia Fink spricht er über die Arbeit der europäischen Grenzschutzagentur, gemeinsame EU-Charterflüge für die Abschiebung illegaler Einwanderer und die viel zitierten "Ostbanden" in Österreich.

derStandard.at: Um die Flüchtlingsströme zu unterbinden hat Italien im Mai damit begonnen, Schiffe auf See nach Libyen abzudrängen. Damit erreichen die Flüchtlinge erst gar nicht die EU und können keine Asylanträge stellen. Wieso reagiert man mit so einer Härte, obwohl die Entwicklung des Zustroms nach Europa ohnehin rückläufig ist?

Robert Strondl: Ich möchte das so nicht stehen lassen, dass mit aller Härte abgedrängt wird. Mir sind Berichte von kritischen Quellen darüber bekannt, aber ich kann das in der Form nicht bestätigen. Dass es eindeutig rückläufige Trends gibt, ist hingegen Tatsache. Das hat 2007 auf den Kanarischen Inseln begonnen und setzt sich jetzt bereits das dritte Jahr fort. Der Grund dafür liegt darin, dass es jetzt eine funktionierende Zusammenarbeit mit den Ursprungsstaaten illegaler Migration gibt, insbesondere mit den regionalen Ursprungs- und Transitstaaten illegaler Migration Senegal und Mauretanien. Das ist besonders den spanischen Behörden zu verdanken. Die Schiffe verlassen erst gar nicht die Gewässer in Richtung der Kanarischen Inseln. Damit ist auch gewährleistet, dass es kaum noch zu riskanten Fahrten auf hoher See kommt, die immer wieder auch Menschenleben kosten.

derStandard.at: Die Europäische Union will die Einrichtung gemeinsamer Charterflüge für die Abschiebung illegaler Einwanderer in ihre Heimatländer prüfen. Bezahlen sollen sie Frontex. Wie ist hier der Stand der Dinge?

Robert Strondl: Frontex ist in diesem Bereich eine Informations-Plattform. Wenn zum Beispiel Frankreich eine Rückführung in einen Drittstaat plant, dann werden alle anderen Mitgliedsstaaten von Frontex darüber informiert. Diese haben dann die Möglichkeit, sich mit Frankreich kurzzuschließen, um die Rückführung gemeinsam und damit kostengünstiger durchzuführen. Dafür hat die Frontex-Agentur die entsprechenden Kreditmittel, um diese Flüge dann teilzufinanzieren, den Rest zahlt das Land selbst. Das ist die derzeitige Situation.

derStandard.at: Das sind also kollektive Abschiebungen?

Robert Strondl: „Kollektive Abschiebungen" kann man nicht sagen. Jeder Staat hat Rückführungen individuell nach rechtstaatlichen Verfahren zu prüfen und braucht auch entsprechende Rückübernahmeabkommen mit den betroffenen Drittstaaten, in welche die Rückkehrflüge zu organisieren sind. Der Kontakt läuft über diplomatische Einrichtungen ab und im Vorfeld werden Heimreisezertifikate für jeden betroffenen Drittstaatangehörigen ausgestellt. Wenn alle Bedingungen für die Organisation eines Rückkehrfluges auch mit dem Heimatstaat geklärt sind, dann erst kann er stattfinden.

An den Flügen beteiligen sich auch Menschenrechtsbeobachter. Wir arbeiten mit NGOs zusammen, es gibt ärztliche und psychologische Betreuung und Vorbereitungsgespräche. Österreich hat im Bereich der gemeinsamen Rückkehrflüge unter Frontex-Mandat die wahrscheinlich europaweit besten Standards eingebracht, die zu berücksichtigen sind. Das ist auch der große Mehrwert: Dass sich die besten Standards europaweit durchsetzen. Daher arbeiten wir mit NGOs auch eng zusammen und nehmen alle Anregungen sehr ernst.

derStandard.at: Die Idee der gemeinsamen Flüge stößt vielerorts auf Kritik – neben NGOs laut diversen Medienberichten auch in der EU-Kommission. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Robert Strondl: Die EU-Kommission habe ich bisher nicht als Kritiker in diesem Bereich erlebt, das ist ja die Mutterorganisation von Frontex. Es gibt aber natürlich Kritik von diversen Organisationen, die darauf schauen, ob die Menschenrechte der Betroffenen gewahrt werden. Ich denke, mit dieser Kritik muss man sich sehr ernsthaft auseinandersetzen, und die Anregungen, die hier gegeben werden, auch entsprechend in die Aktionen integrieren. Auf diesem Gebiet ist Frontex auch sehr wachsam und geht offensiv an dieses Thema heran. Frontex pflegt beispielsweise mit dem UNHCR (UN-Flüchtlingshochkommissariat, Anm.) eine sehr gute Zusammenarbeit.

Wir haben ein Arbeitsübereinkommen, wonach UNHCR-Experten für die Durchführung dieser Rückkehrflüge oder Maßnahmen an den Außengrenzen entsprechende Tipps und Ratschläge geben, die den menschenrechtlichen Standards gerecht werden. Andererseits gibt es zum Beispiel auch mit der in Wien ansässigen EU-Grundrechteagentur eine sehr intensive Zusammenarbeit. Wir erwarten auch, dass im Bereich der EU eine weitere Agentur, das sogenannte Europäische Asylunterstützungsbüro (EASO), im kommenden Jahr seine Tätigkeit aufnehmen und mit Frontex zusammen arbeiten wird.

derStandard.at: Können Sie es nachvollziehen, dass viele NGOs Frontex als Feindbild ansehen?

Robert Strondl: Ich denke, dass die Chancen für NGOs, ihre Interessen hier zu platzieren, noch nicht erkannt wurden. Man muss nochmal betonen, dass Frontex selbst nicht operativ verantwortlich ist und operativ auch gar nichts tun dürfte, sondern dass weiterhin die Mitgliedsstaaten selbst die Verantwortung tragen. Die vielleicht wichtigste Aufgabe von Frontex ist die EU-weite Verbesserung der Standards der Grenzüberwachung, nicht nur bei der Effizienz und Effektivität, sondern auch was die Menschenrechte betrifft. Darin sehe ich die Chance der NGOs, die Frontex-Agentur in Zukunft zu unterstützen.

derStandard.at: Hat sich der Brennpunkt der illegalen Einwanderung vom Mittelmeer weg verschoben?

Robert Strondl: Was die Situation an den Kanarischen Inseln betrifft, zeigt der mittlerweile über drei Jahre fortgesetzte rückläufige Trend keine Verdrängungseffekte. Was den zentralen Mittelmeerraum, also Malta, Libyen, Lampedusa betrifft, ist die Entwicklung noch zu jung, die Zusammenarbeit mit Libyen wurde erst im Mai 2009 etabliert. Daher können wir das noch nicht abschätzen. Es ist aber damit zu rechnen, dass es Verdrängungseffekte in westliche und östliche Richtung geben könnte. Aber das kann derzeit noch nicht bestätigt werden.

derStandard.at: Zu Österreich: Einige Medien und Politiker vermimtteln den Eindruck, als werde das Land von den viel zitierten "Ostbanden" regelrecht überschwemmt. Sehen Sie diese Gefahr auch?

Robert Strondl: Zunächst muss man einmal sagen, dass an den Schengen-Ostaußengrenzen die illegale Einwanderung in die EU deutlich gesunken ist.

derStandard.at: Dennoch wird das Thema wird ungeachtet der dünnen Quellenlage über alle Maßen aufgebauscht.

Robert Strondl: Das sind Ihre Worte, nicht meine. Objektiv gesehen muss man auch sagen, dass die österreichische Gesamt-Kriminalität in den vergangenen acht Jahren sich nicht wirklich signifikant verändert hat, es gibt nur leichte Schwankungen innerhalb einer Bandbreite. Besonders kritisch werden natürlich die Schwankungen nach oben betrachtet. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass es besonders im Bereich der Einbruchskriminalität 2009 eine Steigerung gegeben hat. Gegen dieses Phänomen muss mit allen entsprechenden polizeilichen Mitteln, die wir um die Zusammenarbeit im Schengenraum, insbesondere mit den Nachbarstaaten wesentlich erweitert haben, auch konsequent vorgegangen werden.

derStandard.at: Zurück zu Frontex: Die Einsätze tragen meist sehr fantasievolle Namen: Hera, Poseidon, Zeus. Wer denkt sich das aus?

Robert Strondl: Das ist eine Terminologie, die sich aufgrund des Zusammenarbeitens von Menschen aus 27 EU-Staaten in der Zentrale in Warschau ergibt. Es ist wohl auch das Produkt eines europäischen Geistes, der seine geschichtlichen Ursprünge nicht vergessen hat.

derStandard.at: Sie sind im November wiedergewählt worden. Ist es einfacher geworden, den Moderator für 27-Staaten zu spielen?

Robert Strondl: Der Verwaltungsrat entscheidet im Wesentlichen fast immer einstimmig über die operativen Schwerpunkte, also das Arbeitsprogramm der Agentur, beispielsweise in welchen Bereichen das Budget eingesetzt werden soll. Wir sind auch dafür zuständig, die Arbeit der Agentur zu evaluieren. Die Agentur ist noch relativ jung, sie ist ja erst 2005 gegründet worden. Bei meinem Vorgänger gab es in der Anfangsphase sehr viele Dinge sehr rasch zu tun, die notwendig waren, um die Agentur mal zum Leben zu bringen, um die Arbeitsfähigkeit herzustellen. Mit meiner Amtsübernahme haben wir uns ein klares Ziel gesetzt: Die Arbeit der Agentur zu konsolidieren, die Stabilisierung nach dem schnellen Aufwuchs. Wir haben es innerhalb kürzester Zeit auf mittlerweile 230 Mitarbeiter beziehungsweise ein Budget von etwa 85 Millionen Euro geschafft. Wir haben im Verwaltungsrat ein gemeinsames Commitment. Wir führen sehr offene Diskussionen, kommen aber auch immer zu einheitlichen Beschlüssen.

derStandard.at: Weder Innenminister noch Grenzschutzbeamte sind dazu verpflichtet, mit Frontex zu kooperieren. Alles eine Frage des Überzeugens?

Robert Strondl: Ja. Die Frontex-Agentur hat keine eigenen operativen Beamten und auch keine exekutiven Befugnisse, das liegt weiterhin ausschließlich bei den Mitgliedsstaaten der EU. Sie sind verantwortlich für den europäischen Grenzschutz im Sinne der Standards des Schengener Grenzkodex. Die Agentur koordiniert die Mitgliedstaaten und führt sogenannte Risikoanalysen durch. Erstmals erstellt also jemand europaweite Lagebilder, wie sich Trends bezüglich der illegalen Migration in die EU entwickeln und wo gemeinsame Aktionen zweckmäßig sind. Die Agentur hat außerdem eine wichtige Aufgabe bei der Ausbildung von Grenzschutzbeamten – die wird zwar nicht von der Agentur selbst durchgeführt, aber es werden gemeinsame Kernlehrpläne entwickelt, die in allen Mitgliedsstaaten herangezogen werden, um bestmögliche Ausbildung sicherzustellen.

derStandard.at: Und die Zusammenarbeit funktioniert?

Robert Strondl: Das funktioniert überwiegend in sehr partnerschaftlicher Art und Weise. Eine andere Variante gibt es dafür auch nicht, das kann nur partnerschaftlich funktionieren. Das wird auch sehr gut angenommen von den Mitgliedstaaten, weil die Agentur aus ihrem Budget die gemeinsamen Maßnahmen unterstützen und fördern kann. Daher ist das auch eine große Hilfe für die betroffenen Mitgliedstaaten, die solche Dinge sonst ganz alleine organisieren und durchführen müssten. Die Agentur kümmert sich beispielsweise darum, die internationale Entwicklung der Grenztechnik zu verfolgen und diese Forschungsergebnisse auch an die Staaten rückzuspiegeln, damit nicht jeder seine eigenen Forschungen kostspielig anstellen muss. Darin liegt ein sehr großer Servicecharakter für die Mitgliedsstaaten. (derStandard.at, 10.12.2009)