Lisa Granbergs Start-up MyWebwill kümmert sich um die Hinterlassenschaften im zweiten Leben online.

Foto: Anwar

Die digitale Welt ist eine unsterbliche - ganz im Gegensatz zu den Menschen, die sie schaffen. Immer mehr Personen, vor allem der jüngere Generation, haben nicht nur ein richtiges Leben, sondern auch ein zweites im Netz. In sozialen Kontakt-und Selbstdarstellungsforen wie Facebook, Myspace und Twitter, auf Partnersuchseiten und Blogs legen sie Bilder und Videos an, schreiben öffentliche Tagebücher oder einfach nur, dass sie gerade frühstücken. Immer mehr leben online einen wichtigen Teil ihres Lebens. In Schweden, wo das Netz früh Verbreitung fand, wird nun diskutiert, was mit der digitalen Hinterlassenschaft geschehen soll, wenn ihr User stirbt.

Vermächtnis

"Ich habe meine Tochter Madeleine nie gefragt, was ich mit ihrem Blog machen soll, wenn sie stirbt. Auch nicht, was mit ihrem MSN-, ihrem Facebook- und ihrem Hotmailkonto geschehen soll. Ich bin da sehr unsicher und weiß nicht was rechtlich zulässig ist", erklärte Anne Murberger der Zeitung Svenska Dagbladet, die wie viele andere Medien in Schweden - einem Land, in dem jedes dritte Teenagermädchen einen eigenen Blog hat - dem Thema ganze Serien gewidmet hat.

Anne Murbergers Tochter Madeleine Deckert ist im September 2008 im Alter von 20 Jahren an Krebs gestorben. Im Krankenhaus begann sie einen täglich aktualisierten Blog zu veröffentlichen. In dem noch immer existierenden Tagebuch geht es um ihren Kampf gegen den Krebs, "den verdammten Idioten", wie sie ihre Krankheit nennt - oder eben genannt hat. Und in dieser Zeitenfrage liegt auch das Problem für die neue Generation. "Das Blogschreiben war sehr wichtig für Madeleine. Sie bekam so viel Zuspruch", sagt ihre Mutter. Nach dem Tod der Tochter vermochte sie es nicht, sich um die digitalen Spuren zu kümmern.

Gedenkseite

"Madde wollte vielleicht, dass der Blog weiter existiert. Oder auch nicht. Jetzt lasse ich ihn erstmal, wo er ist. Viele lesen ihn noch", sagt die Mutter, die selbst manchmal den Blog ihrer toten Tochter aufruft - ähnlich, wie zu einem Grab zu gehen - und ihr schreibt, dass sie sie vermisst. "Das klingt seltsam, aber ich tue das tatsächlich. Vielleicht lassen wir ihn als Gedenkseite im Netz", sagt sie. Die anderen Konten will sie löschen, weiß aber nicht, wie. "Ich fragte nicht beim Begräbnisinstitut. Aber das müsste es geben. Vor allem wenn Jugendliche sterben. Die leben ja im Internet", sagt die Mutter. ,

Respekt

Sunniva Gertinger, 23, erzählt dem Standard von ähnlichen Problemen. Ihr Freund nahm sich am Neujahrstag das Leben. Nachdem sie sich ein wenig von dem Schock erholt hatte, wollte sie das Facebook-Konto ihres verstorbenen Freundes löschen, auf das sie so oft fast zwanghaft gegangen war. Aber sie hatte keine Zugangsdaten. "Wer dann Facebook mit dem Totenschein kontaktiert, bekommt erst keine Antwort, dann, dass Facebook entschieden hat, die Seite bestehen zu lassen", sagt sie. Erst durch den Druck der Medien, an die sie sich wandte, lenkte Facebook ein. "Das Konto musste weg, aus Respekt für ihn, aber auch für uns, die ihm nahestanden."

Dienst

Genau das hat sich Lisa Granberg auch gedacht. Sie steht bei ihrer Abschlussausstellung an der Designhochschule Beckmans in Stockholm neben einer großen, an die Wand geklebten Grafik und erklärt, wie ihr Start-up "MyWebwill", dass Ende nächster Woche in Schweden und den USA und Ende des Jahres mit einer deutschsprachigen Version online geht, funktioniert. "Menschen leben neben der Wirklichkeit zunehmend im Internet, deshalb gibt es den Tod im Netz", sagt sie. Menschen sollen in ihrer Firma "eine Art Internet-Testament" abgeben.

Mit der Gratisversion können Konten deaktiviert werden; die Premiumversion um 199 Kronen pro Jahr oder lebenslang 1999 Kronen (191 Euro) ermöglicht es, E-Mails zu einem festgesetzten Zeitpunkt nach dem Tod zu verschicken, Fotos oder ein letztes Status-Update auf Facebook zu veröffentlichen oder Blogs zu vererben oder zu pflegen. MyWebwill ist an das Melderegister angeschlossen: Stirbt ein Kunde, führt es dessen letzten Wünsche im Netz aus.

Keine Lösung für Trauer

"Das Ganze ist natürlich keine Lösung für Trauer, aber wir können die Situation für Hinterbliebene erleichtern, die nun selbst auf Handys ständig mit den Facebookseiten der Verstorbenen konfrontiert werden", sagt die junge Dame. "Trauer braucht manchmal Ruhe." Dass gerade eine Schwedin auf die Idee kommt, findet sie naheliegend. "Wir sind Pionierland im Internet. Bei uns sind selbst Rentner auf Facebook. Probleme werden früher deutlich." Über zu wenig Nachfrage macht sie sich keine Sorgen. Schon mehrere tausend Personen sollen sich registriert haben. Aber wer vertraut einer kleinen Firma zu Lebzeiten sämtliche Zugangsdaten an? "Wir müssen einfach ein seriöses Image aufbauen. Wer zu einer Bank geht und dort sein ganzes Geld lässt, muss dieser ja auch vertrauen."

(André Anwar aus Stockholm, DER STANDARD/Printausgabe, 9.12.2009)