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Hoffen auf ein Wunder: Sylvie Testud als Pilgerin in "Lourdes" - ab Freitag im Kino.

Fotos: APA, Stadtkino

Standard: Wunder sind nicht besonders zeitgemäß. Ganz generell gefragt: Was hat Sie an diesen göttlichen Interventionen in einem zeitgenössischen Kontext interessiert?

Hausner: Genau das Unzeitgemäße! Es ist wie eine Kinderfantasie. Ich selbst bin jemand, der Dinge rational begreift. Ein Ort wie Lourdes ist für mich daher im ersten Moment eher ein Horror. Ich sehe die Leute, die mit dieser naiven Hoffnung, diesem Glauben dort hingehen, damit etwas Ungewöhnliches geschieht, das sie mit einem Schlag aus ihrem Elend befreit. Das ist mir fremd, aber gleichzeitig ersehne ich es auch: Das habe ich erst während des Films entdeckt. Ich habe in mir auch so ein Fantasie bewahrt: Hokuspokus, simsalabim, und alles ist gut.

Standard: Aber das Wunder muss ja nicht mit Glück einhergehen.

Hausner: Ja, und Glück ist auch vergänglich. Was mich am Wunder interessiert, ist die Ambivalenz daran. Selbst wenn es eintritt, lösen sich nicht alle Schleifen in Wohlgefallen auf, sondern neue Unannehmlichkeit treten auf. Der Erlösungsglaube ist in unseren Breiten immer noch etwas, was uns sehr bestimmt. Das ist ein Superjoker, den die katholische Kirche da in der Hand hat: das Leben nach dem Tod. Im Diesseits überwiegen die Ambivalenzen, aber das ist nicht ganz unser Ding. Leider - das wäre nämlich gescheit.

Standard: Wie sind Sie auf Lourdes gekommen - Sie hätten das Wunder ja auch im Alltag verorten können?

Hausner: Das verdankt sich meiner Liebe zum Rationalismus. Ich wollte eben keine ganz fiktive Geschichte erzählen. Ich wollte an einen realen Ort fahren.

Standard: Weil sich dort das Profane mit besonderer Vehemenz am Übersinnlichen reibt?

Hausner: Dass es in dieser aufgeklärten Welt diesen Ort überhaupt noch gibt, ist absurd: ein Widerspruch zwischen dem Wunsch nach Rettung und dem, was man sich zugesteht, glauben zu dürfen.

Standard: Wie hat sich Ihre Vorstellung des Ortes mit der Realität gebrochen?

Hausner: Als ich mir das Ganze überlegt habe, war es eher abstrakt. Ich hatte eine Märchenform vor mir. Dort war dann alles viel existenzieller, als ich dachte - ich habe gemerkt, was es für diese Menschen heißt, mit dem Sterben konfrontiert zu sein. Es hat mich regelrecht erschüttert. Wir haben jeden Abend eine Flasche Wein getrunken, die Kranken auch.

Standard: Christine (Sylvie Testud), eine junge Frau im Rollstuhl, ist zwar die zentrale Figur des Films, sie bleibt aber eher eine skeptische Beobachterin. Warum?

Hausner: Sie war lange wie ein Platzhalter in der Geschichte - komischerweise. Sobald ich ihr biografische Details angedichtet habe, fand ich sie uninteressant. Irgendwann wurde mir aber klar, dass es genau um das Prototypische geht - auch bei den anderen Figuren. Individuelle Sorgen sind zweitrangig. Es ist wie eine Märchenanordnung - wie bei Heidi: Christine ist die Clara im Rollstuhl, die junge Malteserin Maria ist Heidi usw. Ich finde es außerdem spannend, wenn alle Figuren auch Aspekte eines Einzelnen sein könnten.

Standard: Auf psychologische Motivation zu verzichten - das ist etwas, das Sie nicht das erste Mal tun.

Hausner: Ja, die tue ich immer raus. Ich beschäftige mich gerade mit einem neuen Projekt, das eine Liebesgeschichte wird. Da geht es schon wieder so los: Ich streiche psychologische Entwicklungen. Übrig bleiben nur die Fakten.

Standard: In "Lourdes" arbeiten Sie viel mit Einstellungen, die mehrere Figuren auf einmal zeigen - man durchläuft diesen Ort, ein wenig distanziert, als wäre er eine Fabrik der Wunder. Wie wurde dieser räumliche Zugang denn konzipiert?

Hausner: Grundsätzlich merke ich, dass ich den Raum gerne unvollständig gestalte. Es soll unklar bleiben, wie er genau funktioniert. Schon in Hotel haben wir falsche Achsen verwendet, den Raum so gefilmt, dass er eigentlich gar nicht funktionieren kann. Bei Lourdes wollte ich die Frage nach dem Größeren, nach Gott, mit den Räumen verknüpfen. Man soll die Gesamtheit der Gruppe sehen, weil es ja jeden treffen kann; zugleich wollte ich nur Ausschnitte präsentieren - ein gesetztes Bild. Das Gefühl, dass es auch ein Dahinter, ein Außerhalb des Bildausschnitts, gibt, wollte ich bewahren.

Standard: Das Außerhalb wäre dann aber kein realer Ort mehr?

Hausner: Genau, es liegt sozusagen zwischen den Schnittstellen. Die Antwort ist im Off. Dass die Bilder eher total sind als nah, nimmt auch schon einen Standpunkt ein: Es gibt einen vierten Blick - einen, der alles beobachtet. Wer ist das?

Standard: Sie haben erstmals mit französischen Darstellern gearbeitet. War das auch der Versuch, auf sprachlicher Ebene die Distanz zu vergrößern?

Hausner: Es ging mir vor allem darum, die Geschichte aus der Alltäglichkeit herauszuheben. Ich wollte nicht in so ein Lokalkolorit münden, das die Herkunft zu sehr ausstellt. Der Ort ist ja skurril genug - ich habe eher versucht, dem mit "schönen" Bildern bewusst entgegenzuarbeiten.

Standard: Hat es Sie überrascht, dass Sie auch von kirchenkritischer Seite eine Auszeichnung erhielten?

Hausner: Den Atheisten hat wohl gefallen, dass das Wunder nicht richtig hält. Ich war froh, dass der Film von mehreren Seiten angenommen wurde. Überrascht hat mich nur, dass man ihn auch rührend findet.

(Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 09.12.2009)