Bagdad - Einen Tag nach der Anschlagsserie in Bagdad haben überall im Land strenge Sicherheitsvorkehrungen geherrscht. Dennoch kam es am Mittwochvormittag zu zwei neuen Attentaten in der irakischen Hauptstadt, bei denen mindestens vier Menschen ums Leben kamen. Der eine Sprengsatz war nach Polizeiangaben in einem Mistkübel im sunnitischen Stadtteil Azamiyah versteckt und explodierte, als dort Straßenreiniger unterwegs waren. Zwei Straßenkehrer wurden getötet und drei Passanten verletzt.

Ein weiterer Sprengsatz brachte einen Minibus zur Explosion. Hier wurden ebenfalls zwei Menschen getötet, elf weitere erlitten Verletzungen. Die Zahl der Todesopfer bei den Anschlägen auf Ministerien und Behörden stieg unterdessen auf mindestens 127. Das Parlament lud zwei ranghohe Sicherheitsbeamte zu einer Sondersitzung am (morgigen) Donnerstag vor, um sie zu befragen, warum die Sicherheitsvorkehrungen derartig versagt hätten.

Mindestens 127 Tote

Bei der Anschlagsserie am Dienstag in Bagdad sind mindestens 127 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 400 weitere verletzt worden. Vor Regierungseinrichtungen in mehreren Vierteln der Hauptstadt gingen am Dienstag im Abstand weniger Minuten fünf Autobomben in die Luft, wie ein Vertreter des Innenministeriums sagte. An verschiedenen Stellen der irakischen Hauptstadt explodierten kurz hintereinander vier Bomben. Die Nachrichtenagentur Al-Yaqen meldete auch einen Angriff mit Katjuscha-Raketen auf die scharf bewachte "Grüne Zone" im Zentrum von Bagdad. Dort befinden sich unter anderem Regierung und Parlament sowie die US-Botschaft.

Wie bereits bei Anschlagsserien im August und im Oktober standen Ministerien und öffentliche Gebäude im Visier. Drei Sprengsätze detonierten in der Nähe des Innenministeriums, des Arbeitsministeriums, vor einem Kunstinstitut und unweit eines Gerichtsgebäudes. Im Kinderkulturhaus von Bagdad, das neben dem Kunstinstitut liegt, wurden zahlreiche Kinder von Glassplittern getroffen. Gleichzeitig riss in dem südlichen Vorort Al-Doura ein Selbstmordattentäter mehrere Polizisten mit in den Tod.

Wahlvorbereitungen

Ungeachtet des Bombenterrors traf der sunnitische Vizepräsident Tarik al-Hashimi mit Vertretern der unabhängigen Wahlkommission zusammen, um Vorbereitungen für die Parlamentswahlen zu treffen. Die ursprünglich für Jänner geplant gewesene Wahl war verschoben worden, weil Hashemi gegen die ersten zwei Versionen des Gesetzes, das den Urnengang regeln soll, sein Veto eingelegt hatte. Erst in der Nacht auf Montag wurde schließlich eine Kompromisslösung gefunden, die alle Parteien mehr oder weniger zufriedenstellt.

Als neuer Wahltermin wurde am Dienstag der 6. März bekanntgegeben, darauf hatte sich die Präsidentschaft, bestehend aus Präsident Jalal Talabani und den Vizepräsidenten Tarik al-Hasimi und Adel Abdul Mahdi, geeinigt.

Nur kurz vor einer Deadline, die Hashimi gesetzt hatte - danach hätte er wieder offiziell sein Veto eingelegt -, hatte das irakische Parlament in der Nacht auf Montag ein Wahlgesetz verabschiedet, das alle Parteien zufriedenstellt. Hashimi hatte bereits gegen die erste Version des Gesetzes ein Veto eingelegt: Das Parlament hatte seinen Einwänden jedoch nicht entsprochen, sondern das Gesetz wieder an die Präsidentschaft zurückgeschickt, in einer Version, die die arabischen Sunniten, deren Repräsentant Hashimi ist, weiter benachteiligte.

In der jetzigen Version wird diese Benachteiligung wieder aufgehoben. Gemäß Hashimis Wunsch liegen jetzt dem Wahlgesetz Wählerstatistiken von 2009 zugrunde (die zweite Version bezog sich auf 2005, was unter Umständen vom Verfassungsgericht angefochten werden hätte können). Die Flüchtlinge außerhalb des Irak können ihre Stimme für den Wahlkreis, aus dem sie stammen, abgeben. Die Anzahl der Parlamentssitze für die kurdischen Provinzen wurde erhöht. Der Präsident der Kurdischen Regionalregierung in Erbil, Massud Barzani, hatte mit Boykott gedroht. Irakische Kommentatoren bezeichneten die Kurden als eigentliche Gewinner des Streits um das Wahlgesetz. Der Präsidialrat legte unterdessen den Termin für die Parlamentswahl auf den 6. März 2010 fest.

Al Kaida verantwortlich gemacht

"Was für ein Verbrechen haben wir begangen? Frauen und Kinder sind unter den Trümmern begraben. Warum haben sie (die irakischen Streitkräfte) diese Autobombe durchgelassen?" schrie Ahmed Jabbar beim Gang durch die Trümmer in der Nähe des neuen Finanzministeriums. Die Rettungskräfte versuchten auch mit Kränen, die Trümmer beiseite zu heben, um nach Überlebenden suchen zu können. Dutzende Fahrzeuge gerieten durch die Explosion in Brand.

Zu den Anschlägen bekannte sich zunächst niemand. Sie erinnerten jedoch im Ablauf an einen Doppelanschlag in Bagdad Ende Oktober mit mehr als 150 Toten, zu dem sich der irakische Arm des Terrornetzwerks Al Kaida bekannt hatte. Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki sagte, die Anschläge trügen die Handschrift von Al Kaida und den Anhängern des gestürzten Machthabers Saddam Hussein. "Die Feinde des Irak wollen das Land ins Chaos stürzen und die Wahlen stören." Maliki und mehrere seiner Minister sowie die Chefs der Sicherheitskräfte wurden für Donnerstag zu einer Befragung über die Sicherheitslage ins Parlament bestellt.

Reaktionen

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle zeigte sich bestürzt über die neuen Anschläge. "Ich verurteile diese menschenverachtenden Anschläge auf das Schärfste", erklärte er in Berlin. In Washington verurteilte das Weiße Haus die Gewalt. Verantwortlich seien diejenigen, die sich nach der Verabschiedung eines Wahlgesetzes von dem demokratischen Prozess im Irak bedroht fühlten, sagte Regierungssprecher Robert Gibbs. Auch die syrische Regierung wandte sich "entschieden gegen die terroristischen Bombenanschläge". Die Beziehungen zwischen Syrien und dem Nachbarland Irak sind zunehmend gespannt, da die Regierung in Bagdad Damaskus vorgeworfen hat, Führungsmitgliedern der ehemaligen Baath-Partei von Saddam Hussein Unterschlupf zu gewähren.

Weltsicherheitsrat verurteilt Anschläge

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Bombenanschläge"auf das Schärfste" verurteilt. Die Täter und Unterstützer müssten vor Gericht gebracht werden, forderte der Rat, dem derzeit auch Österreich angehört, am Dienstag in New York. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach von einer abscheulichen Bluttat. Die Zahl der Todesopfer bei den Anschlägen auf Ministerien und Behörden stieg unterdessen auf mindestens 127.

 (Reuters, guha/DER STANDARD, Printausgabe, 9.12.2009)