Stimmlich überragend inmitten fantastischer szenischer Naivität: Dietrich Henschel (Buonafede) und Vivica Genaux (Ernesto)

 

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Macht Joseph Haydns geistreichen Witz mit Fantasie und Stimmigkeit verständlich: Dirigent und Jubilar Nikolaus Harnoncourt

 

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Tobias Morettis Regie erwies sich als brauchbare Verpackung.

Wien - Es gab Zeiten, als ihn manche wohl am liebsten auf den Mond geschossen hätten. So irritierend erschien die Musizierweise, mit der Nikolaus Harnoncourt und seine Mitstreiter vom Concentus Musicus Wien vor mehr als einem halben Jahrhundert erstmals öffentlich auftraten.

Zwar wurde der Dirigent, der die Interpretation von Musik revolutionierte wie niemand sonst in den letzten Jahrzehnten, seither längst vom Außenseiter zu einem musikalischen Fixstern. Aber er schaffte es dabei auch, weder zu einem Star zu verkommen, der sich seinen Erfolg mit Zugeständnissen an den Musikbetrieb erkauft, noch von den selbst gesetzten Maßstäben auch nur um einen Millimeter abzuweichen.

Daher gilt eines bis heute: Wer von Harnoncourt eine Bestätigung seiner Erwartungen verlangt, wie bekannte Werke zu klingen haben, wird enttäuscht. Umgekehrt gibt es kein Stück, das er nicht von einer überraschenden Seite zu zeigen vermag - und vieles, das erst unter seinen Händen überhaupt schlüssig klingt. Für Haydn gilt das in besonderem Sinn: Wenn man seine Opern nur herunterspielt, werden sie bald - nun ja: - langweilig. Wenn man es aber so wie Harnoncourt versteht, ihrem Gestus nachzuhören, ihre Dynamik und ihren Witz zu beleben, zeigen sie ihre Spritzigkeit und Kraft, auch wenn sie nicht ganz an die Opern Mozarts oder an Haydns Instrumentalmusik heranreichen.

Verzerrte Sehnsüchte

Dennoch können sie, wie Harnoncourt am Samstag - dem Vorabend seines 80. Geburtstags - im Theater an der Wien bei der Premiere von Il mondo della luna vor allem mit dem Concentus Musicus demonstrierte, von elektrisierender Wirkung sein. Auch wenn auf der Bühne indessen mit einigem technischen Aufwand gewerkt wurde, gingen von dort unterdessen weit weniger Impulse aus.

Die an Goldoni angelehnte Geschichte einer fingierten Mondreise, wo der Diener in einer verkehrten Welt zum Kaiser wird, hat Regisseur Tobias Moretti zwar recht ordentlich heruntererzählt. Nachvollziehbar zeigt auch die Drehbühne (Renate Martin und Andreas Donhauser), dass das Hochsicherheitshäuschen, in dem der alte Griesgram Buonafede und seine beiden halbwüchsigen Töchter nebst Dienerin wohnen, nur Fassade ist. Gleich daneben treibt der Betrüger und Maulheld Ecclitico sein Unwesen, der dem Alten auf Videoprojektionen (Hamid Reza Tavakoli) seine verzerrten Sehnsüchte zeigt. Dennoch leistet die Inszenierung über weite Strecken kaum mehr als das, was manche Opernbesucher verlangen, indem sie "die Musik nicht stört" - zwar fantasievoll, aber unverbindlich und manchmal naiv.

Lieber setzt sie auf umständliche Gags wie Whirlpool und Sessellift, als ein wenig in die Tiefe zu gehen oder eine konsequente Personenführung zu bieten. Dort, wo die Figuren genauer charakterisiert werden, liegt der Ansatzpunkt deutlich in der Musik. Da es vor den Proben eine mehrtägige Arbeitsphase mit Harnoncourt gegeben hatte, in der die Profile der Figuren erarbeitet wurden, liegt die Vermutung nahe, dass auch hier vieles eher auf den Dirigenten zurückging als auf den Regisseur.

Verfremdete Klänge

Dabei gelang es jedenfalls bestechend, den geschickt besetzten Personen ein unverwechselbares (musikalisches) Profil zu geben: der frecheren der beiden Schwestern - Christina Landshamer verkörperte die Clarice mit müheloser Eleganz - und der herberen, ängstlicheren Flaminia (Anja Nina Bahrmann) ebenso wie der Rolle der handfesten Dienerin Lisetta, bei der Maite Beaumont Mezzo-Fülle mit vibratoarmem Ton verband.

Neben dem tapsigen, bauernschlauen Diener Cecco (Markus Schäfer) und dem vor allem darstellerisch überzeugenden Ecclitico (Bernard Richter) waren Vivica Genaux als Ernesto und vor allem Dietrich Henschel, der als Buonafede litt und fantasierte, als wäre er Wozzeck, und so für ein gerüttelt' Maß an Schwärze und Sarkasmus sorgte, stimmlich überragend.

Abgründig und tiefsinnig klang es auch - und noch viel mehr - aus dem Orchestergraben, wo Harnoncourt mit dem Concentus in vielfacher Weise an die Grenzen ging, wenn er etwa jene Musik am Ende des ersten Akts, wo Buonafede glaubt davonzufliegen, kaum hörbar intonieren ließ, an anderer Stelle eine geradezu explosive Wucht beschwor oder das Experimentelle an Haydn mit unerhörter klanglicher Verfremdung der Instrumente unterstrich. Dies alles erschien so akzentuiert, so geistreich, hintergründig und genau im richtigen Tonfall gespielt, als könne es gar nicht anders sein. (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8.12.2009)