Ein Treffen in Moskau an diesem Montag soll die Wende bringen: Bis Jahresende steht das neue Raketenabkommen, heißt es.

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Moskau/Wien - Alles nur halb so wild: Der Start-Vertrag von 1991 läuft unbegrenzt weiter, ließ das Weiße Haus mitteilen, als das Abkommen über den Abbau der strategischen Nuklearwaffen am vergangenen Samstag auslief. "Die intensiven Vorbereitungen für die Unterzeichnung sind dabei, zum Abschluss zu kommen" , versicherte das russische Außenministerium umständlich.

Acht Runden von Abrüstungsexperten beider Länder in diesem Jahr und ein Gipfeltreffen der Präsidenten im vergangenen Juli reichten am Ende nicht, um einen Nachfolgevertrag bis zum 5. Dezember aufzusetzen. Am heutigen Montag wollen Ellen Tauscher, die US-Staatssekretärin für Rüstungskontrolle, und der russische Vizeaußenminister Sergej Riabkow in Moskau das Finale einläuten. Bis Jahresende soll Start II stehen. Doch dann ist immer noch nicht geklärt, wann die Präsidenten - Barack Obama und Dmitri Medwedew - das neue weitergehende Abrüstungsabkommen unterzeichnen.

Mit Start I (Strategic Arms Reduction Treaty) hatten George Bush und Michail Gorbatschow den Kalten Krieg beendet: Keine Seite sollte mehr als 6000 Atomsprengköpfe und 1600 Trägersysteme - Atom-U-Boote, Bomber, landgestützte Startrampen - aufstellen dürfen, schrieb das Abkommen unter anderem vor. Der neue Start-Vertrag soll weitergehende Einschnitte im Nukleararsenal festlegen. Medwedew und Obama einigten sich im Prinzip darauf, die Zahl der Sprengköpfe innerhalb der nächsten sieben Jahre auf 1500 bis 1657 zu drücken.

Zweifel in Moskau

Der Militärexperte und stellvertretende Chefredakteur des "Unabhängigen Militärkommentars" Viktor Litowkin, rechnet allerdings nicht damit, dass der neue Start-Vertrag bis zum Jahresende unterzeichnet wird, sondern erst im Mai 2010 bei der Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags NPT. "Das ist schon eine Katastrophe. Sehr viele Länder werden auch solche Systeme haben wollen, wenn sich Moskau und Washington nicht auf eine Reduzierung einigen können" , kommentierte Litowkin in der russischen Tageszeitung Nesawisimaja Gaseta.

Eine Einigung ist deshalb so schwierig, weil außer den beiden Präsidenten Obama und Medwedew anscheinend niemand ein Interesse an einem neuen Abrüstungsvertrag hat. Die russische Politelite würde sich mit einer großen Anzahl an Atomwaffen sicherer fühlen als mit einer kleinen, meint Litowkin. Auch wenn dieses Arsenal eine Stange Geld kostet.

Ein großes Interesse hätten die Amerikaner nach Ansicht russischer Militärexperten jedoch an der Kontrolle über den russischen Rüstungsbetrieb Wotkinski, wo die Interkontinentalraketen Topol-M und Bulawa produziert werden.

Mit dem Ablauf von Start-I werden sie das Recht zur Inspektion jedoch sehr wahrscheinlich verlieren. Die russischen Verhandler haben die USA bereits aufgefordert, ihre 20 Inspekteure abzuziehen, berichtete die Nachrichtenagentur Ria Nowosti unter Berufung auf Verhandlungskreise. Russland habe seine Kontrollen in den USA schon 2001 einstellen müssen, da die USA die Raketenfabrik Magna schlossen.

Der Moskauer Verteidigungsexperte Alexander Golz zweifelt überhaupt am militärischen Nutzen eines neuen Raketenvertrags. "Dieser Vertrag hat in Wirklichkeit keine Bedeutung für die Sicherheitslage" , sagte Golz im Gespräch mit dem Standard. "Der Start-Vertrag ist ein politischer Vertrag, kein militärischer. Und darum hängt das Zustandekommen eines Kompromisses vom politischen Willen ab." Golz sieht auch taktische Überlegungen der russischen Regierung. Russland sei interessiert, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen, sagt er - "je länger die Gespräche dauern, desto länger kann Russland der Welt zeigen, wie wichtig es ist und dass es auf gleicher Augenhöhe mit den USA spricht". (von Verena Diethelm und Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 7.12.2009)