Zur Person
Magnus Nordborg, geboren 1965 in Schweden, studierte Biologie und Mathematik. Der Evolutionsgenetiker forschte zum Beispiel in den USA sowie in Schweden und erhielt in beiden Ländern Professuren. Seit Jänner 2009 ist er wissenschaftlicher Direktor des Gregor-Mendel-Instituts für Molekulare Pflanzenbiologie an der Österreichische Akademie der Wissenschaften in Wien. Er ist ein anerkannter Spezialist für genomweite Assoziationsstudien.

Foto: privat

STANDARD: Warum brauchen Wiener Evolutionsforscher eine Initiative, die sie koordiniert? Können sich die Wissenschafter nicht selbst organisieren?

Nordborg: Das ist gar nicht so einfach. Wir sind über ganz Wien verstreut, arbeiten in unterschiedlichen Institutionen. Da ist es gut, wenn man sich gezielt kennenlernt, austauscht und zusammenarbeiten kann. Auch wenn ich Mitarbeiter aus dem Ausland gewinnen möchte, kann ich auf das evolVienna-Netzwerk verweisen. Ich war selbst überrascht, wie viele Gruppen in Wien Evolutionsforschung betreiben.

STANDARD: Sie haben in erster Linie Pflanzen gewählt, um Fragen der Evolutionsgenetik zu lösen. Warum keine tierischen Modelle?

Nordborg: Weil ich mich für lokale Anpassungen von Organismen interessiere. "Plants stand still and wait to be counted", sagte schon der Pflanzenforscher John Harper. Es ist einfacher, sie zu untersuchen als Tiere. Sie können nicht weglaufen, deswegen sind Pflanzen sehr fein auf die Bedingungen in ihrer Umwelt abgestimmt.

STANDARD: Zum Beispiel?

Nordborg: Die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana. Sie ist weit verbreitet, blüht aber je nach Region zu verschiedenen Zeitpunkten. Ich will herausfinden, wie sich Veränderungen in der Gensequenz auf das Erscheinungsbild, also den Phänotyp, auswirken und wie diese Unterschiede dann die Fitness beeinflussen.

STANDARD: Sie erforschen nicht ausschließlich pflanzliches Erbgut?

Nordborg: In der Vergangenheit habe ich im Rahmen von Kollaborationen untersucht, welche Gene die Körpergröße von Hunden bestimmen, und genetische Landkarten für menschliche Erkrankungen erstellt. Mein Team arbeitet auch an der Populationsgenetik von Meerkatzen, die in Afrika weit verbreitet sind. Bei diesen Affen sind zum Beispiel jene Gene interessant, die für die Abwehr des SI-Virus (Anm.: simian immunodeficiency virus; Pendant zum menschlichen HIV) eine Rolle spielen. Wir reisen allerdings nicht nach Afrika, um Proben von den Tieren zu nehmen, sondern bekommen von anderen Wissenschaftern die genetischen Daten geliefert.

STANDARD: Durch neue Technologien wurde die Gewinnung genetischer Daten im Laufe der vergangenen Jahre viel einfacher.

Nordborg: Als die Sequenz der Modellpflanze Arabidopsis im Jahr 2000 publiziert wurde, hatte die vorangehende Arbeit einige Jahre gedauert und rund 70 Millionen Dollar gekostet. Nach Schätzungen wird die Analyse Ende des Jahres 2010 für rund 70 Dollar möglich sein - innerhalb von drei oder vier Minuten. Das ist eine Revolution für die Evolutionsbiologie.

STANDARD: Gut, Evolutionsgenetiker haben viele Daten zur Verfügung. Aber wie steht es um die Interpretation der Informationsflut?

Nordborg: Wir müssen lernen, schneller zu denken. Aber im Ernst - eine große Herausforderung in der Evolutionsforschung ist, dass sie viel quantitativer werden muss. Auch in vielen anderen Bereichen der Biologie wird man künftig ohne ordentliches mathematisches Wissen nicht mehr arbeiten können.

STANDARD: Das Darwin-Jahr geht zu Ende, viele Konferenzen, Veranstaltungen und Publikationen schmückten sich mit Darwins Namen. Sind Sie froh, dass der Rummel bald vorbei ist?

Nordborg: Nein, keinesfalls. Charles Darwin war für mich schon als Schulkind eine wichtige Persönlichkeit. Seine Arbeit ist einer der größten Durchbrüche in der Wissenschaft und in der westlichen Zivilisation.

STANDARD: Welche Frage würden Sie Darwin gerne stellen?

Nordborg: Eigentlich gar keine. Wenn ich mich in eine Zeitmaschine setzen könnte, würde ich Charles Darwin und Gregor Mendel einander vorstellen. Darwin wusste nichts über Genetik. Mit Mendels Konzept über die Vererbung wäre ihm wohl vieles klar geworden. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.12.2009)